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Prof. Rainer Mausfeld über „kollektiven Wahnsinn” und den möglichen Bruch der Zivilisation (Interview 2022)

Prof. Rainer Mausfeld bei einem Vortrag über „Tiefenindoktrination”, Quelle: Youtube/wikiTHEK)

In den Geschehnissen der letzten Jahre haben viele die klärende Sicht von Prof. Rainer Mausfeld vermisst. Nach längerer Abstinenz meldet sich der Kieler Kognitionsforscher jetzt wieder zu Wort. Die medial etablierte herrschende Meinung bezeichnet er schlichtweg als „kollektiven Wahnsinn”.  Dieser Wahnsinn würde nun zwangsläufig in eine ausgedehnte Zerstörung führen, womöglich sogar in ein Ende der Zivilisation.

Mausfeld vermag es wie kaum ein anderer, uns mit den Mitteln der Kognitionsforschung eine rationale Annäherung an die Frage zu geben, die derzeit viele denkende Menschen zur Verzweiflung treibt: Wie ist es möglich, dass Bürger einer westlichen Zivilisation, die eine langjährige, vielfach akademische Ausbildung genossen haben, sich nun dennoch in einer Situation wiederfinden, wie sie Platon in seinem Höhlengleichnis beschrieben hat: Gefesselt am Nacken, sodass sie nur in eine Richtung schauen können und „nichts anderes für wahr halten als die Schatten vorgefertigter Gegenstände” (Platon, Politeia)? – eine Situation, in der wir laut Mausfeld allerdings nicht bloß Opfer, sondern selbst zu Komplizen unserer eigenen Unterdrückung geworden seien. In diesem Zustand lassen wir medial erzeugten „Hass und Ausrottungswillen” unwidersprochen und nehmen nun sogar die Möglichkeit eines Nuklearkrieges weitgehend apathisch hin.

In seinem jüngsten Interview verweist Mausfeld auch auf das einzige Mittel, das uns aus dem Sog der massenmedialen Manipulation befreit: „bewusstes Nachdenken”.

Auszug:

>> Die Folgen eines kollektiven Wahnsinns zu prognostizieren ist naturgemäß kaum möglich. Nur dass er zumeist in eine zivilisatorische Katastrophe mündet. 

(…) Die Bevölkerung ist durch einen rigorosen Kampagnenjournalismus und eine zur Perfektion entwickelte Narrativkontrolle in einer so tiefgehenden und umfassenden Weise indoktriniert, wie dies wohl nie zuvor in der Geschichte des Medienwesens der Fall war. Die Bevölkerung ist der Möglichkeit einer eigenständigen Urteilsbildung weitestgehend beraubt und schart sich hochemotionalisiert, teils verängstigt und apathisch, teils fanatisch und im Russenhass vereint, um ihre Führer. Da zudem gegenwärtig jede Form von Dissens sofort aggressiv geächtet, diffamiert und repressiv bekämpft wird, wird es vermutlich noch längere Zeit gelingen, aufkeimenden Protest durch Diffamierungskampagnen zu spalten und zu neutralisieren.

(…) Meinungen und Einstellungen lassen sich nicht so einfach fakten- oder vernunftwidrig manipulieren, weil wir normalerweise über ein natürliches psychisches Immunsystem gegen Manipulation verfügen. Wir bemerken also, dass man uns manipulieren will, und wenden uns von dem vergifteten Vermittlungsmedium ab. Wenn aber unser natürliches Immunsystem gegen Manipulation unterlaufen oder in seiner Funktionsweise beeinträchtigt wird, sind wird einer Manipulation schutzlos ausgeliefert. Genau darauf zielen, wie ich ja an anderer Stelle ausführlicher aufzeige, moderne Indoktrinationstechniken.

Dafür gibt es im Prinzip zwei Wege. Der eine Weg ist struktureller, der andere psychologischer Natur. Der strukturelle Weg besteht darin, durch eine Medienkonzentration in den Händen mächtiger politischer und wirtschaftlicher Eliten eine Art Informationsmonopol zu schaffen. Auf diese Weise werden die Massenmedien, wie dies ja gegenwärtig in beängstigender Weise erkennbar wird, in ihrem Meinungsspektrum extrem homogenisiert, und der öffentliche Debattenraum wird auf die politisch gewünschten Meinungen verkürzt. Damit wird natürlich der Demokratie überhaupt die Grundlage entzogen.

Hier nun kommt ein wichtiger psychologischer Effekt ins Spiel: Psychologische Experimente haben gezeigt, dass einer Behauptung subjektiv ein höherer Wahrheitswert zugeschrieben wird, je häufiger man sie präsentiert. Dieser Effekt zeigt sich selbst dann, wenn diese Behauptung zuvor als eindeutig falsch markiert wurde. Allein durch dauernde Wiederholung steigt tendenziell der gefühlte Wahrheitsgehalt. Das ist schlicht eine Eigenschaft der Funktionsweise unseres Geistes. Man kann sich, wenn überhaupt, vor ihren nachteiligen Folgen nur durch bewusstes Nachdenken schützen. Wenn also eine fakten- oder vernunftwidrige Behauptung von allen großen Medien verbreitet wird, so dass ein politisch interessierter Bürger sie in SZ, SPIEGEL, FAZ, taz oder Tagesschau wiederfindet, so erlebt er sie tendenziell auch dann als richtig, wenn sie nachweislich falsch ist. Dieser Effekt funktioniert so zuverlässig wie die optischen Täuschungen in der Wahrnehmung.

Wenn nun derartige Wiederholungen sich durch alle meinungsbildenden Instanzen, wie Schulen, Universitäten und kulturellen Bereiche ziehen, werden sie zu gefühlten Wahrheiten, die als kaum hinterfragbare Selbstverständlichkeiten empfunden werden. Genau darauf zielt der zweite, psychologische Weg einer Tiefenindoktrination. Das längerfristig angelegte Ziel einer Tiefenindoktrination ist die stabile Formung politischer und gesellschaftlicher Weltbilder und Wertesysteme. Diese Weltbilder oder „Narrative“ werden kognitiv und affektiv so tief verankert, dass sie uns gar nicht mehr als ideologische Weltbilder bewusst sind, sondern uns als Selbstverständlichkeit erscheinen. Sie sind uns so selbstverständlich wie dem Fisch das Wasser.

In dem Maße, wie uns ein ideologisches Weltbild nicht mehr als solches bewusst ist, sind wir auch unfähig gemacht worden, überhaupt noch einen Außenstandpunkt zu ihm einzunehmen. Wir reagieren im Gegenteil ausgesprochen aggressiv auf jeden, der die behauptete Selbstverständlichkeit der vorherrschenden politischen Rahmenerzählung infrage stellt. Eine Tiefenindoktrination hat also für die Mächtigen den Vorteil, dass die von ihnen vermittelte Rahmenerzählung sehr stabil und weitgehend gegen Fakten und Kritik immun ist.

(…) Dies kann mittlerweile sehr viel leichter erreicht werden, weil die Techniken der Indoktrination enorm verfeinert und optimiert wurden – dazu hat besonders die Psychologie entscheidende Beiträge geleistet. Wenn Menschen erst einmal daran gewöhnt sind, vernunftwidrige Behauptungen zu akzeptieren, ist, wie aus psychologischen Studien bekannt ist, insgesamt ihre Befähigung beeinträchtigt, überhaupt noch in rationaler Weise Überzeugungen ausbilden zu können – was für die Machtausübenden natürlich ein gewaltiger Vorteil ist.

Heute ist die massive Indoktrination für die Menschen, die ihr ausgesetzt sind, nahezu unsichtbar gemacht worden. Zwar ist, wie schon Joseph Goebbels wusste, seit jeher bekannt, dass Indoktrination nur wirken kann, wenn sie nicht als solche bemerkt wird. Denn damit ist unser natürliches Immunsystem gegen Manipulation weitgehend ausgehebelt. Die Wirksamkeit moderner Formen der Indoktrination übersteigt, was der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, bei weitem die aller traditionellen Formen von Propaganda. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung zutiefst überzeugt ist, in einer Gesellschaft zu leben, die im Großen und Ganzen frei von Indoktrination ist – einer der spektakulärsten Erfolge der Propaganda überhaupt. Die Lüge hat sich also, in Günther Anders Worten, längst wahrgelogen.

(…) Die Verantwortlichen haben genau so gedacht, wie es der politische Zeitgeist der sogenannten „Zeitenwende“ von ihnen erwartet. Sie haben das aus dieser Perspektive Selbstverständliche gedacht und getan. Insofern sie den herrschenden Zeitgeist in vorauseilendem Opportunismus lediglich zu seinem konsequenten Ende gedacht haben, stellt sich für sie die Frage einer Verantwortlichkeit gar nicht. Denn dies würde die Möglichkeit voraussetzen, überhaupt noch einen Außenstandpunkt einnehmen zu können. Genau das ist aber gar nicht mehr möglich.<<

Der Frage nach einem Ausweg aus diesem Teufelskreis begegnet Mausfeld mit nüchternem Realismus. Gleichzeitig setzt er jedoch auch auf das innerste Potential, das uns Menschen immanent ist: Den Willen zur Freiheit und eine „natürliche Befähigung zur Moralität”:

>> Diese Frage [nach einem Entkommen, A.d.V.] kann ich nicht, zumindest nicht in befriedigender Weise, beantworten. Und ich wüsste auch nicht, wer sie in seriöser Weise beantworten könnte. Zugleich ist es aber die wichtigste und drängendste Frage, vor der wir stehen. Unzählige Menschen in aller Welt suchen mit großem Engagement nach Antworten und nach Auswegen aus dem Indoktrinationsgewölbe.
(…)
Von einer solchen Wahrnehmung sind wir noch weit entfernt, trotz wachsender Empörung in zunehmend größer werdenden Teilen der Bevölkerung. Die Status-quo-Beharrung, die politische Apathie und die moralische Gleichgültigkeit haben durch Konsumismus, Unterhaltungsindustrie, Überflutung mit Nichtigkeiten durch Medien und durch eine tiefgreifende soziale Atomisierung einzigartige Ausmaße erreicht.

Zugleich zeigt die Geschichte, dass immer wieder über kurz oder lang geeignete Formen von Gegenmacht der gesellschaftlichen Basis entstanden sind. Der Grund liegt darin, dass wir als Menschen ein natürliches Bedürfnis haben, nicht dem Willen anderer unterworfen zu werden. Und dass wir über eine natürliche Befähigung zur Moralität verfügen. Dazu gehören Abscheu gegen Ungerechtigkeit und Unrecht, und Mitleid mit denen, die Leid und Unrecht erfahren. Diese natürlichen Befähigungen gehören zur Beschaffenheit des Menschen. Sie sind die psychologischen Quellen allen emanzipatorischen Fortschritts. Auf diesem Fundament können wir unsere Hoffnung gründen.
(…)
Ein gesichertes Fundament dabei ist die Einsicht, dass der Mensch als einziges Lebewesen über ein geradezu unerschöpfliches kreatives Potential verfügt – und zwar sowohl im Destruktiven wie im Konstruktiven.<<

Ganzes Interview: >> https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/folgen-eines-kollektiven-wahnsinns/

Hinweis: Neues Buch von Rainer Mausfeld: Hybris und Nemesis (geplante Herausgabe: Herbst 2023)

admin

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  • Schön, dass sich Mausfeld wieder zu Wort meldet. Während Corona hat es wohl auch ihm die Sprache verschlagen.

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