„Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ (Francisco de Goya – public domain-wikimedia)
Dahingesunken
Die Allegorie aus Goyas Bild scheint sich heute in bedrückender Weise zu manifestieren: Der Mensch ist wie dahingesunken, die ihn umgebende Atmosphäre wird indes dominiert von schattenhaften Gestalten, die einen gespenstischen Reigen veranstalten.
Goya wählte für seine „Ungeheuer“ Fledermaus-, Nachteulen- und katzenartige Gestalten. Man könnte sich die Frage stellen: Was wollen diese Gestalten? Warum umschwirren sie den Menschen? Und: Was würde passieren, wenn der am Schreibtisch sitzende Mensch weiterschläft?
Wer sich in Details der Zeichnung vertieft, kann sehen, dass dem dahingesunkenen Menschen seine Schreibgeräte entglitten sind und verstreut am Tisch liegen. Ein hinter seinem Rücken kauerndes Ungeheuer hat eines dieser Schreibgeräte bereits mit seinen Krallen ergriffen. Es will offensichtlich weiterschreiben.
In der Tat könnte man meinen, dass der politisch-mediale Plot, den wir derzeit erleben, bereits von Ungeheuern geschrieben wird. Kaum ein Tag vergeht, an dem im weltpolitischen Geschehen nicht neue Eskalationsstufen beschritten werden und sich ein Mensch, der sich noch nicht dem „betreuten Denken“ anheim gegeben hat, fragen muss: „Das gibt’s doch gar nicht. Das können die doch nicht ernst meinen?“ Doch wie es aussieht, meinen „die“ es ernst. Todernst sogar.
Reset Everything
Der „Great Reset“, wie ihn die Architekten der „Neuen Normalität“ nennen, rückt näher. Siehe dazu einen Bericht von Hermann Ploppa über die synthetische Technowelt, wie sie uns etwa vom World Economic Forum als Neue Normalität schmackhaft wird. Dieser Thinktank-Verband der 1000 größten Globalkonzerne präsentiert sich nicht nur in medienwirksamen Events wie in Davos der Öffentlichkeit, sondern arbeitet im Schatten der Coronakrise über ein weitverzweigtes Lobbynetzwerk ohne Unterlass an der „digitalen Transformation“ unserer gewohnten Welt. Um die Schienen in die Zukunft zu legen, wird auch auf die Rekrutierung junger Talente besonderer Wert gelegt:
„Bereits im April trafen sich im Internet nachwachsende Talente der schönen neuen Technowelt unter dem Motto „Reset Everything“, euphorisierte Jünger der neuen künstlichen Plastikwelt. Es ging um 5G, Transhumanismus, Künstliche Intelligenz, Kryptowährung, Impfungen neuen Typs oder um Lebensverlängerung …“
(Hermann Ploppa: “The Great Reset – Corona als Schrittmacher der 4. Industriellen Revolution“)
Die letztlich auch in den biotechnologischen Umbau des Menschen mündende digitale Transformation hat auch Peter Frey in einem schon etwas älteren, aber immer noch grundlegenden Essay „Die Globalisierung und der Transhumanismus“ beschrieben. Siehe auch Norbert Häring: „Der Griff Großkonzerne nach der Weltherrschaft”.
Unser Schicksal ist nicht in Stein gemeißelt
Doch all die menschheits- und umweltbedrohlichen Szenarien, die derzeit am Horizont sichtbar werden, sind kein unausweichliches Schicksal. Sie sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es letztlich der Mensch selbst ist, der all diese Dinge erschafft – oder auch eine alternative, menschenwürdige Realität.
Denn setzt man nur bei den Auswüchsen und Abgründen an, die uns derzeit bedrohen, dann verkennt man leicht die ursächliche Dimension, die all diese Zustände erst herbeigeführt hat.
Welche Zukunft für uns und unsere Kinder demnächst Alltagsrealität wird, wird auch insbesondere davon abhängen, als was wir den Menschen ansehen: Als bloßen Biocomputer oder als vielschichtiges Wesen mit Geist, Seele und Körper? Gesteht man dem Menschen eine geistige Ebene zu, dann wird er sich niemals mit einer Robotisierung und Überwachung abfinden. Umgekehrt muss eine Robotisierung und Überwachung fast zwangsläufig einsetzen, wenn man Mensch und Welt bloß mechanistisch zu erklären versucht. Denn dann wird das Streben von Wissenschaft und Technik bloß darauf gerichtet sein, diesen Biocomputer durch technische Maßnahmen zu „verbessern“ und effizienter zu machen. Der Begriff der Entwicklung würde hierbei ganz auf die physische Ebene verengt.
Begreift man Entwicklung jedoch primär als geistig-seelisches Prinzip und das Leben als „Pflanzschule des Geistes“, so wie es Goethe bezeichnet, dann entschärfen sich all die utopisch-technizistischen Pläne von selbst und weichen auf ein sinnvolles, dem Menschen dienendes Maß zurück.
Das größte Defizit – und größte Potential – unserer Zeit
Obwohl es gerade ein geistiges Verständnis von Mensch und Welt wäre, das uns einen Ausweg aus dem heutigen Dilemma eröffnen würde, so ist es leider geradewegs der Begriff des Geistes, der uns abgesprochen wird und regelrecht verpönt ist. Obwohl das Interesse an einem geistig-sinnerfassenden Leben heute durchaus bei vielen Menschen vorhanden wäre, ist der Begriff des Geistes durch eine tragische kirchengeschichtliche Inanspruchnahme nahezu vollständig verschüttet. Auch eine wenig ernsthafte Esoterik-Szene hat in nicht minderem Maße dazu beigetragen, dass der Weg einer geistigen Vertiefung heute wie versperrt erscheint.
Doch was ist geistige Vertiefung überhaupt? Im elementarsten Sinne könnte man diesen abstrakten Begriff auch schlicht als Entwicklung verstehen – Entwicklung von Interesse und Empathie, eigenständiger Anschauungsbildung, ersten individuellen Idealen und Tugenden sowie einer fortschreitenden Vertiefung in die Zusammenhänge des Menschenwesens mit seiner Lebensumwelt und den vielfältigen – auch seelisch-geistigen – Daseinsebenen.
Wer diese Entwicklung auch nur in ersten Ansätzen aufgreift, z.B. anhand hochwertiger philosophischer Literatur, der wird merken, dass er als Mensch das Gegenteil von denjenigen fledermausartigen, nebulosen Gestalten freisetzt, wie sie in Goyas obigem Bild des schlafenden Menschen ersichtlich sind: Stattdessen klare, lichte, vernunftorientierte Wesen. Auch diese Wesen können der gesellschaftlichen Atmosphäre eine bestimmte Signatur und damit eine Wende ins Konstruktive geben. Der selbstaktive Mensch wird sich auch den Schreibstift nicht aus der Hand nehmen lassen, sondern sich aufrichten und das Leben selbst federführend gestalten.