Macht Freitod wirklich frei – oder vollkommen unfrei? (Zum Suizid von Clemens Arvay)

(Clemens Arvay / Youtube)

In seinem jüngsten Video wünscht der Psychiater Raphael Bonelli dem verstorbenen Clemens Arvay „eine gute Reise“. Doch wohin geht die Reise eines Menschen, der sich selbst aus dem Leben genommen hat?

Tod eines Schwimmers gegen den Strom

Der Tod des Biologen und Sachbuchautors Clemens Arvay sorgt derzeit für große Betroffenheit. Arvay erlangte im deutschsprachigen Raum weitreichende Bekanntheit durch seine Kritik an verkürztem Zulassungsverfahren und Wirksamkeit der mRNA-Impfung. Mehr als 140.000 Menschen folgten seinem Youtube-Kanal. In Talkshows wurde er als Kontrahent gewichtigen Vertretern von Pharma und Medizin wie Weltärztepräsident Montgomery gegenübergestellt. Obwohl er sich bei seiner Aufklärungsarbeit stets um eine sachliche und differenzierte Betrachtung bemühte, sah er sich massiver Kritik und Anfeindungen ausgesetzt. In einer Phase, als die Impfung noch mit dem Versprechen der „Vollimmunisierung“ beworben wurde, wurde Arvay als „Coronaleugner“ diffamiert, seine akademische Qualifikation in Abrede gestellt. Der mediale Hass auf seine Person gipfelte schließlich in tätlichen Angriffen. In der Filiale eines Paketdienstes wurde er von einem Befürworter der Corona-Maßnahmen mit Fäusten und Tritten zu Boden geprügelt.

Nach eigenem Bekunden waren es jedoch vielmehr die verbalen Angriffe und Herabwürdigungen, die ihm zusetzten. Wie bereits Heinrich Böll wusste, „kann die Gewalt von Worten schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen“. Aus einer WhatsApp-Nachricht von Clemens Arvay an den Facharzt Raphael Bonelli:

„Es ist der nervliche Wahnsinn. Die Methoden sind so niederträchtig. Wird mich am Ende ein Wutbürger umbringen bei so viel Hass?“ (Quelle: RPP)

Bonelli spricht von einer „Steinigung im sozialen Sinn“, die Arvay erlebt habe. Schlaflose Nächte bereitete ihm insbesondere die herabwürdigende Darstellung auf Wikipedia – einer scheinbar objektiven, laut Recherchen des Diplombiologen Markus Fiedler jedoch von Administratoren der szientistisch-atheistischen Gwup-/Skeptikerbewegung dominierten Plattform (siehe „Clemens Arvay – Rufmord in der Wikipedia, die Analyse“). Deren meist anonym agierenden Akteure verfolgen das Ziel, von der herrschenden Meinung abweichende Personen aus dem öffentlichen Diskurs auszugrenzen (siehe die Doku „Zensur – die organisierte Manipulation der Wikipedia und anderer Medien“). Entsprechend tendenziös beginnt auch die Darstellung von Arvays akademischer Qualifikation im obersten Kapitel seines Wikipedia-Eintrags: „Nach einer Buchbinderlehre und Abendmatura studierte Clemens Arvay zunächst Landschaftsökologie …“

– Nun, welcher unbedarfte Leser will sich schon von einem Buchbinderlehrling etwas über mRNA-Impfungen erzählen lassen? Dass sich die Hypothesen dieses Buchbinders mittlerweile fast ausnahmslos bestätigt haben, wurde von seinen Kritikern geflissentlich ignoriert. Obwohl nun auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die zum Teil erschütternden Nebenwirkungen der neuartigen mRNA-Impfungen berichtet wird (siehe z.B. ZDF, ARTE, MDR und Bayerischer Rundfunk),  vor denen Arvay unter Bezug auf Zulassungsstudien frühzeitig gewarnt hatte, blieb eine Rehabilitation seiner Person aus.

Diffamierungen und Falschdarstellungen auf Wikipedia, wonach er gar kein Biologe, sondern bloß Landschaftsgärtner sei, wurden auch von großen Leitmedien kritiklos übernommen. In einem Angriff der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) auf ein millionenfach gesehenes Video, in welchem Arvay vor – mittlerweile erwiesenen – Autoimmunerkrankungen als Folge der mRNA-Impfung warnt, wird nicht auf den Inhalt dieses Videos eingegangen, sondern stattdessen am äußeren Erscheinungsbild Arvays als „Mann mit Öko-Zopf und bleicher Haut“ moniert. Der Psychotherapeut Raphael Bonelli berichtet, dass Arvay unter der medialen Diffamierung extrem gelitten und deswegen sogar am Telefon geweint habe.

Verfolgung

In seinem Telefonat zitierte Bonelli aus einem Paulus-Brief an die ersten Christen, welche ebenfalls mit fortwährender Verachtung und Erniedrigung durch weltliche Autoritäten zu kämpfen hatten:

„Wir sind schwach, ihr seid stark; ihr seid angesehen, wir sind verachtet.
Bis zur Stunde leiden wir Hunger und Durst und Blöße und werden mit Fäusten geschlagen und sind heimatlos.
Wir mühen uns ab, indem wir mit eigenen Händen arbeiten;
wir werden beschimpft und segnen;
wir werden verfolgt und halten stand.“

(Quelle: Paulus, 1. Brief an die Korinther, Ephesus, 54 n. Chr.)

Solche Zeilen muten zeitlos an. Das darin geschilderte Erleben wird wohl jedem Forscher, Entdecker, Umwelt- oder Friedensaktivisten bekannt sein, der sich der Wahrheit verpflichtet fühlt und seine Erkenntnisse entgegen der herrschenden Meinung und den etablierten Mächten in die Öffentlichkeit trägt. Wer in diesem Sinne den „schwereren“ Weg an Stelle des zunächst „leichteren“ wählt, kann aus diesen Worten Kraft schöpfen. Man lernt damit zwischen weltlichen Kategorien und innerem, geistigem Weg zu unterscheiden. Auch Clemens Arvay habe nach dem Bericht Bonellis zunächst auf diese Worte aufgemerkt.

Letzte Worte

Allerdings konnte er vom Hader mit der Ungerechtigkeit der Welt letztlich doch nicht loslassen. Obwohl er größten Wert auf „wissenschaftliche Vorgehensweise“ legte und sich von mancherlei, vermeintlich unseriösen Spekulationen distanzierte, blieb die erwartete Rehabilitation nach Bewahrheitung seiner Thesen aus. In den sozialen Medien blieb er der „Schwurbler“ und „Mann mit Öko-Zopf und bleicher Haut“. Vor wenigen Tagen erfuhr man von seinem Suizid. Die letzten Worte auf einem hinterlassenen Zettel waren:

„Sie machen mich fertig. Sie hören nicht auf. Ich habe Angst, dass sie noch mehr über mich schreiben“.

In zahlreichen Nachrufen werden nun der Hass und die mediale Hetze thematisiert, die Clemens Arvay letztlich zu seiner Verzweiflungstat getrieben hätten. Die Kritik am Umgang mit seiner Person und der heute grassierenden „Cancel-Culture“ ist berechtigt, eine sachliche Aufarbeitung dringend geboten. Auch sind der Einsatz und das publizistische Werk von Clemens Arvay zweifellos zu würdigen. Dennoch bleibt nach dem Lesen entsprechender Nachrufe ein Gefühl von Dissonanz und eigentümlich anmutender Leere zurück. Man frägt sich, welche Empfindung die Leser seiner Bücher – die als vielfache Bestseller in zahlreichen Regalen stehen  – nun beim Erblicken seiner Werke haben. Aravy wollte mit seinen Büchern Mut machen. „Wir können es besser“, lautete einer seiner Titel. Nun hat sich der Autor, der uns hierzu motiviert hat, allerdings selbst dem Leben entzogen. Der erst 42-jährige Mann hätte die Reifephase seines Lebens erst vor sich gehabt. Angesichts seiner Intelligenz, interdisziplinären Kompetenz und vielfachen, auch musikalischen  Talenten, hätte er der Welt noch viel zu geben gehabt. Gerade in einer Zeit der Umbrüche, in der sich alte Strukturen und Denkweisen als nicht mehr tragfähig erweisen und ein neues Welt- und Menschenverständnis in die Geburt kommen möchte, wäre sein Beitrag bedeutungsvoll gewesen. So jedoch hat er den vielversprechend gesponnenen Faden jäh abreißen lassen. Er hinterlässt einen pflegebedürftigen Sohn und ratlose Angehörige.

Wie erlebt Clemens Arvay seine Tat im Nachtodlichen?

In einer durchwegs materialistisch geprägten Zeit mag die Frage nach der Weiterexistenz und dem Schicksal der Seele als vermessen oder als Phantasterei gelten. Sind doch heute nicht wenige Menschen der Ansicht, dass das Bewusstsein mit dem Tod des Körpers ebenfalls erlischt. Dieser Ansicht widersprechen zahlreiche gut dokumentierte Nahtoderfahrungen, in welchen klinisch tote und später reanimierte Menschen, mitunter sogar im Zustand vollkommenen Erlöschens der Gehirnwellenaktivität – also der vermeintlichen Basis des Bewusstseins –, erleben konnten, dass es nach dem Tod keineswegs wie erwartet einfach „schwarz vor Augen“ wurde. Stattdessen berichten selbst überzeugte Atheisten, dass ihr Bewusstsein auf einer anderen Ebene weiterexistierte und sich einer Vielzahl unerwarteter Eindrücke gegenübersah.

Obwohl derartige Jenseitserlebnisse mit Vorsicht zu betrachten sind, da es den Personen ohne vorangehende Schulung in der Regel nicht möglich ist, die nun einsetzenden Erlebnisse richtig einzuordnen und sie vorerst einmal nur von der Leichtigkeit und Helligkeit als Folge der Freiheit vom Körper euphorisiert sind. Dementsprechend dominiert bei der überwiegenden Anzahl der Fälle ein freudiges und erleichtertes Erleben unmittelbar nach dem Austritt aus dem Körper. Laut übereinstimmenden Berichten wollen die meisten Nahtod-Erlebenden deshalb zunächst nicht mehr in ihren physischen Körper zurückkehren. Vielfach berichten sie, dass sie dann jedoch von hierarchischen Wesen zurückverwiesen wurden. In vergleichsweise wenigen Fällen hat der klinische Todeszustand so lange angedauert, dass die Person nach dem anfänglichen Leichtigkeitsgefühl auch mit tieferen, zum Teil sehr bedrückenden seelischen Erlebnissen konfrontiert wird, indem sie sich in zeitlich umgekehrter Folge mit allen ihren Taten auseinandersetzen muss, d.h. wie bei einem rückwärts ablaufenden Film mit den unmittelbar vor dem Tod erlebten Begebenheiten zuerst, dann mit den Erlebnissen im mittleren Lebensabschnitt und zuletzt mit jenen der Jugend.

Wenngleich derartige Berichte meist stark subjektiv gefärbt und vielerlei religiösen Interpretation unterworfen sind, so ist es dennoch ein bemerkenswerter Umstand, dass das Erleben im Jenseits einen unerwarteten Lehrcharakter annimmt – ganz im Sinne Goethes Auffassung des Lebens als „Pflanzschule des Geistes“: Gewohnte irdische Kriterien des Habens verblassen, im Leben Konsumiertes und Genossenes wird sogar als Last und Schatten erlebt, während nur das, was man als Mensch an Erkenntnissen und Tugenden errungen und für andere gegeben hat, als bleibender Wert erlebt wird. Taten ebenso wie Unterlassungen des in den persönlichen Möglichkeiten Gelegenen zeigen sich nun in ihrer Konsequenz. Durch zu Lebzeiten getätigte Gedanken, Gefühle und Handlungen erzeugte Werte und Unwerte stehen plötzlich in wesenhafter Gestalt – oft als Tiere – vor einem und wollen bewältigt oder weiterentwickelt werden. Der Charakter dieser Rückschau wird mitunter als sehr quälend erlebt und erinnert an Szenen in Dantes Inferno. Egoistische Gefühle erscheinen in Flammen oder auch Kälte (vgl. Dantes „Eishölle“). Charakteristisch auch das sorgfältige Differenzieren zwischen Wahrheit und Lüge, der man sich im Leben hingegeben hat.

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Ägyptisches Totengericht: Das Herz des Verstorbenen wird mit einer Feder aufgewogen, rechts davon Gott Thot, der das Ergebnis aufschreibt (Foto: British Museum, Public domain)

Heute nur noch in Fragmenten erhaltene Überlieferungen über das Leben nach dem Tod waren wesentlicher Bestandteil aller bisherigen Hochkulturen. Eine das Jenseits und sogar den physischen Tod verdrängende Kultur mit nahezu ausschließlichem Diesseitsfokus hat sich erst in einer vergleichsweise kurzen Zeit der letzten Jahrhunderte herausgebildet. In der Zeit davor  nahmen Menschen viele Anstrengungen auf sich, um sich angemessen auf den Tod bzw. ein Leben nach dem Tod vorzubereiten. So war etwa das Leben des Ägypters ganz auf das Leben nach dem Tod hingeordnet.

In prototypischer Weise werden Nahtoderlebnisse auch im sogenannten „Traumlied des Olaf Asteson“ geschildert, einem im norwegischen Volksgut seit Generation überlieferten Text, in dem die Erlebnisse eines für tot befundenen, dann aber wieder aufgewachten jungen Mannes festgehalten sind. Das Lied wurde früher als eine Art Requiem für Verstorbene gesungen, während dreier Tage ihres Aufgebahrt-Seins. Heute ist nur noch ein kleiner Teil des ursprünglich mehrere hundert Strophen umfassenden Liedes erhalten. Ausschnitt über die Begegnung mit den Produkten der eigenen Gedanken, Gefühle und Taten, die sich nun in bedrohlicher Gestalt zeigen und dem weiteren Weg entgegenstellen:

Gar bissig ist der Hund,
Und stechen will die Schlange,
Der Stier, er drängt gewaltig!
Sie lassen keinen über die Brücke,
Der Wahrheit nicht will ehren!

Die Seelen, sie mussten angstvoll zittern!
Die Tränen rannen hier in Strömen
Als böser Taten Folgen.

Wie selig ist, wer im Erdenleben
Den Armen Brot gereicht!
Er braucht nicht mit nackten Füßen
Zu wandeln im Dornenfeld.
(…)
Ihn können nicht verletzen
Die Hunde in jener Welt.
(…)
Ihm kann nicht drohen
Das scharfe Horn des Stieres,
Wenn er die Gjallarbrücke überschreiten muss.
(…)
Ihn können nicht erfrieren
Die Eisesmassen in Brooksvalin.

Da spricht der Waage Zunge,
Und Weltenwahrheit
Ertönt im Geistesstand.

Wie verhält es sich nun mit Clemens Arvay, dem der Psychiater Bonelli in einem aktuellen Video eine „gute Reise“ gewunschen hat? Man sollte diese Frage nicht vorschnell beantworten. Arvay hat zu Lebzeiten viel geleistet und seinen Mitmenschen wissenschaftliche Aufklärung, Inspiration, Ermutigung und darüber hinaus berührende künstlerische Darbietungen zuteil werden gelassen – also im Sinne von Astesons Traumlied durchaus viel „Brot“ an seine Mitmenschen gegeben –, dann aber eine erschütternde Tat vollbracht, die ein vor Kreativität sprühendes Leben jäh zerstörte: einen Selbst-Mord. Dem Tatbestand und der Konsequenz eines solchen Mordes am eigenen Selbst nimmt es wenig, wenn man ihn gemeinhin als „Freitod“ bezeichnet – ein Begriff, der impliziert, dass es im eigenen freien Ermessen läge, ihn zu wählen und damit sein Leben gewaltsam zu beenden. Man hat damit nicht nur sich selbst um die Möglichkeit gebracht, die Welt in einer jeweils gegebenen Lebenspanne zu bereichern und selbst zu lernen. Auch den verwandten und ferneren Mitmenschen, mit denen man in Beziehung stand oder die auf einen vertraut haben, wurde ein Teil entrissen. Vielfach können Angehörige die nach einem Suizid aufkommenden Gefühle über lange Zeit nur schwer bewältigen und werden von Schuldgefühlen und gedrückter Stimmung geplagt.

Psychotherapeuten berichten, dass Klienten, die einen Selbstmord geplant haben, aber dann durch ein Gespräch davon abgehalten wurden, im Nachhinein ausnahmslos heilfroh und dankbar seien, dass sie diese Tat nicht begangen haben. Gleiches berichten Menschen, deren Suizidversuch gescheitert ist und die ihr Leben wieder fortsetzen konnten.

Die Geisteswissenschaft zu den Folgen eines Suizids

Dass es Personen gibt, die das Erleben der Seele im Jenseits, und dies sogar mit erstaunlicher Klarheit und bis in die tiefsten Ebenen, schon zu Lebzeiten schauen können, mag für das materialistisch geprägte Bewusstsein der Gegenwart im Sinne des Naturwissenschaftlers DuBois-Reymonds („Ignoramus et ignorabimus – „Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen“), eine einzige Provokation darstellen. Wie jedoch Rudolf Steiner, der Begründer der anthroposophisch erweiterten Geisteswissenschaft, meint, verfüge jeder Mensch über ein untrügliches Wahrheitsempfinden, das es ihm ermöglicht, zwischen Unsinn und authentischen Schilderungen der seelisch-geistigen Welt sicher zu unterscheiden. Auch wenn heute die wenigsten Menschen über ein Hellsehen verfügen, so könne jeder Mensch, der sich von vorschnellen Projektionen frei macht und einen offenen Sinn bewahrt, einen gelesenen Text innerlich abwägen und gegebenenfalls seinen Wahrheitsgehalt fühlen. In diesem Sinne mögen auch die nachfolgenden Schilderungen aufgefasst werden.

Eine der eindrücklichsten Beschreibungen des Erlebens der Seele nach einem Selbstmord findet sich bei Steiner selbst. Ihm zufolge sei ein Mensch, der in einem seiner Leben(*) jemals einen Suizid begangen habe, von den Konsequenzen dieser Tat dermaßen erschüttert und von Grauen ergriffen, dass er eine solche Tat „mit Sicherheit nie wieder“ ausführen werde.

(*) Anm.: Gemäß der Anthroposophie ebenso wie laut anderen Weltanschauungen und Religionen wie dem Buddhismus und dem Hinduismus verkörpert sich die Seele des Menschen in mehreren aufeinanderfolgenden Zyklen; hierbei beträgt die Aufenthaltsdauer im Jenseits ein Vielfaches der Lebenszeit im jeweils vorangegangenen irdischen Leben, d.h. ein Mensch inkarniert i.d.R. nach mehreren hundert Jahren wieder, um unter vollkommen geänderten Umständen, meist in einem anderen Kulturkreis und im jeweils anderen Geschlecht als zuletzt, neue Erfahrungen zu sammeln und sich weiter zu vervollkommnen. Laut Steiner macht die Zeit der Konfrontation mit den Ereignissen eines gerade durchlebten Lebens ca. ein Drittel der absolvierten Lebensspanne aus, also i.d.R. ca. 20 bis 30 Jahre. Diese Begegnung mit den Früchten des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns im Sinne eines „Purgatoriums“ oder „kama loka“, in welchem die erworbenen Anhaftungen zum Irdischen abgelegt werden, um in der Folge in das „devachan“ bzw. von der seelischen in eine rein geistige Ebene eintreten zu können, in welcher dann die nächste Inkarnation vorbereitet wird, kann in Abhängigkeit des individuellen Lebenswandels auch deutlich verkürzt oder ausgedehnt sein.

Steiner weiter zu den Entbehrungsgefühlen der Seele nach einem Selbstmord:

„Der Tod erzeugt in ihm zuerst die Wirkung einer ungeheuren Leere. Bei gewaltsamem Tod und bei Selbstmord sind diese Gefühle der Leere, des Durstes und des Brennens noch viel schrecklicher. Der seelische Leib, nicht dazu vorbereitet, außerhalb des physischen Leibes zu leben, reißt sich unter Schmerzen von ihm los, während beim natürlichen Tode der reif gewordene Seelenleib sich leicht löst. Beim gewaltsamen Tod, der nicht vom Willen des Menschen verursacht ist, ist die Loslösung immerhin weniger schmerzhaft als im Fall des Selbstmords. (Quelle: GA 94, S. 63f)
(…)
Zu den verschiedenen Gefühlen, die dem Menschen im Leben anhaften, gehört besonders das eigentliche Daseinsgefühl, das Lebensgefühl, die Freude am Leben überhaupt, am Drinnenstecken im physischen Körper. Darum ist es eine Hauptentbehrung, keinen physischen Körper mehr zu haben. Wir werden nun dadurch das furchtbare Schicksal und die entsetzlichen Qualen jener Unglücklichen verstehen, welche durch Selbstmord aus dem Leben scheiden. Beim natürlichen Tod ist die Trennung der drei Körper verhältnismäßig eine leichte. Selbst bei Schlaganfall oder sonst einer schnellen natürlichen Todesart ist in Wirklichkeit schon längst die Trennung dieser höheren Glieder voneinander vorbereitet worden; sie trennen sich leicht, und die Entbehrung des physischen Leibes ist dann nur eine sehr geringe. Aber bei einer so gewaltsamen plötzlichen Trennung vom Körper wie bei einem Selbstmörder, wo noch alles gesund ist und noch fest zusammenhält, da tritt unmittelbar nach dem Tode eine starke Entbehrung des physischen Körpers auf, die furchtbare Leiden verursacht. Es ist ein furchtbares Schicksal. Der Selbstmörder fühlt sich wie ausgehöhlt und beginnt nun ein grausiges Suchen nach dem so plötzlich entzogenen physischen Körper. Nichts lässt sich damit vergleichen.
Es wird nun mancher sagen: Der Lebensüberdrüssige hängt ja gar nicht mehr am Leben, sonst hätte er es sich nicht genommen. – Das ist eine Täuschung, denn gerade der Selbstmörder hängt zu sehr am Leben; weil es ihm aber die Befriedigung gewohnter Genüsse nicht mehr bietet, weil es ihm vielleicht durch veränderte Verhältnisse manches versagt, darum geht er in den Tod, und darum ist ihm nun die Entbehrung des physischen Körpers unsagbar groß.“ (Quelle: GA 95, S. 34)

Steiner meint, dass in einer zukünftigen Zeit, wenn das Wissen über Reinkarnation allgemeines Kulturgut geworden sei, es keinen Selbstmord mehr geben würde. Denn dann stünde jedem die Sinnlosigkeit und Tragweite eines solchen Tuns vor Augen. Vorerst geht der Trend jedoch offensichtlich noch in die andere Richtung. Suizide haben laut Statistik in den letzten Jahren deutlich zugenommen, die rechtlichen Schwellen für assistierten Selbstmord werden in vielen Ländern abgebaut. Zuletzt wurde eine vollautomatische Gas-Kapsel präsentiert, mit der man auch ohne ärztliche Hilfe in den „Freitod“ gehen kann (siehe Bericht in Stern).

Das „Wiegen“ der Seele

Zu einem ähnlichen Befund der Wirkungen eines Suizids kommt der Geistforscher Heinz Grill. Ebenso wie Steiner bezieht sich Grill nicht auf historisches Wissen oder mediale Eingebungen, sondern sieht seine Eindrücke als Resultat einer vollbewussten, konzentrierten Erkenntnisschulung, die heute jedem Menschen zugänglich wäre.

Eine detaillierte Schilderung der Wege, welche die Seele nach dem Abscheiden aus dem Körper zu durchlaufen hat, findet sich im Buch „Initiatorische Schulung: Die Seelsorge für die Verstorbenen“. Konkret sind es demnach sieben Ebenen, welche wir nach unserem Tod für eine gewisse Zeit durchwandern. In jeder dieser Ebenen gilt es spezifische Lernschritte zu absolvieren und gibt es eine eigene Art von Waage. Insbesondere  findet eine Auseinandersetzung mit zu entwickelnden Tugenden sowie im Leben unterlassenen Aufgaben und Möglichkeiten statt.

„Die Seele erlebt besonders intensiv die Tiefe ihrer eigenen Seelensubstanz, die Tiefe ihres eigenen Denkens, Fühlens und ihres Willens. Bildhaft gesprochen wird sie nach den Qualitäten ihrer Seelenkräfte gewogen. (…) Der Ausdruck »wiegen« ist, obwohl sehr allegorisch gesprochen, für das Empfinden, das im Jenseits über längere Phasen erlebt wird, sehr charakteristisch, denn es ist ein sehr sensibles Spüren, das sich relativ zügig wie das Einpendeln der Waagebalken entwickelt. Die Seele findet ihr ureigenes, inneres Gleichgewicht zwischen den unterlassenen Lebensschritten und den absolvierten Pflichten. Sie findet ihr eigenes Gesetz, ihr seelisches dharma. Die Seele erfährt sich zwischen Tiefe und Oberflächlichkeit, zwischen Annäherung und Wahrheit, Täuschung und Illusion. Sie erfährt sich zwischen Pflicht und Unterlassung. Ihr freudiger Unterhalt, ihre Lebensstimmung, die sie nun bezieht, entnimmt sie aus der Tiefe ihrer eigenen verflossenen Gedanken, Empfindungen und Taten.“

Detail aus ägyptischem Wandbild: Links das menschliche Herz, das auf einer Waagschale mit einer Feder aufgewogen wird; nur wenn es leicht wie diese Feder ist, kann die Seele den Weg in die höheren Welten fortsetzen. Ist das Herz aufgrund seiner irdischen Anhaftungen und der überführten „Lüge des Herzens“  zu schwer, dann sinkt die Waagschale nach unten, wo es dem Zugriff von Ammut ausgesetzt ist, einem gefräßigen Wesen mit Krokodilkopf (siehe Foto unten)

Im Zuge dieses schon in der ägyptischen Tradition erwähnten „Wiegens“ könne die Seele entweder freudige Verbundenheit mit der umgebenden Welt oder auch schmerzliche Beklemmung erleben. Die schmerzlichen Gefühle seien jedoch nicht im kirchlichen Sinne als Strafe aufzufassen, sondern die individuelle Seele wünsche aus sich selbst heraus eine Überwindung ihrer Mängel und eine progressive Weiterenwicklung. Ebensowenig seien diese Läuterungszustände von ewiger Dauer, sondern zeitlich befristet. Wie Steiner beziffert auch Heinz Grill diese Zeitdauer mit einem Drittel der Lebenszeit:

„Alle diese sieben Sphären besitzen ein unterschiedliches Bewusstsein. In jeder Sphäre wird eine spezifische Läuterung erlebt. In jeder Sphäre gibt es eine Art Waage, die das Leben nach den verflossenen Tiefen wägt und beurteilt. Sind wir den Aufgaben, Pflichten und Anforderungen ausgewichen, so werden wir in der entsprechenden Sphäre im Nachtodlichen Leben eine Leere, einen Schmerz, eine Einsamkeit ein Ausgegrenztsein, ein Verlassensein und eine Isolation erleben. Die Gefühle in diesen Ebenen sind unterschiedlich, so wie auch die Aufgaben jeder Mensch besitzt, von unterschiedlicher Art und Notwendigkeit gewesen sind. Aber jeder Mensch, der durch die irdische Welt hindurchgegangen ist, muss ebenfalls durch die Planetensphäre und Ihre Reinigungsprozesse hindurchgehen. Der Durchgang durch diese Welten dauert etwa ein Drittel der Lebenszeit, so dass ein Mensch, der im sechzigsten Lebensjahre verstirbt, etwa zwanzig Jahre durch die seelische Welt hindurchgeht.“

Hinsichtlich der Schwere der Folgewirkungen eines Suizids unterscheidet Heinz Grill zwischen individuellen Umständen und insbesondere dem Motiv, das bei einer solchen Tat überwiegt:

  • Einerseits das Motiv der Enttäuschung und Frustration dem Leben gegenüber, das Nicht-Erfüllt-Werden-Können der eigenen Wünsche, letztlich identifizierbar als Trotzhaltung, die auch intentional den noch Lebenden Schuldgefühle zuweisen soll
  • Andererseits das Motiv einer tatsächlichen Ausweglosigkeit zufolge einer schweren Psychose, Depression oder sonstigen psychischen Krankheit

Wohl werden bei einem Suizid immer beide Komponenten vorhanden sein und kann die Anwesenheit einer mehr oder weniger ausgeprägten Depression in den seltensten Fällen geleugnet werden. Dennoch ist es aus geisteswissenschaftlicher Sicht insbesondere das Motiv des Trotzes, das sich im Falle seines Überwiegens als sehr problematisch für den weiteren Gang der Seele erweist. Hingegen findet die Seele eine vergleichsweise bessere Verbindung zur geistigen ebenso wie zur zurückgelassenen irdischen Welt, wenn die Tat eine wirkliche Verzweiflungstat in einer psychischen Ausnahmesituation war.

In den Medien wurde verlautbart, dass Clemens Arvay in einer psychiatrischen Einrichtung stationär aufgenommen war und seine Tat kurz nach Entlassung aus dieser Einrichtung begangen hatte. Auch wenn die näheren Umstände und eine konkrete Diagnose nicht bekannt sind, so kann jedenfalls angenommen werden, dass sich Arvay in einer schweren psychischen Krise befunden haben muss, andernfalls er sich nicht in stationäre Behandlung begeben hätte. Das Vorliegen eines gravierenden psychischen Leidens mag also bei der Einordnung seiner Tat im Lichte der nachfolgenden Ausführung berücksichtigt werden. Gleichermaßen ist das Beharren von Clemens Arvay auf seine wissenschaftliches Reputation in nächtelangen „edit wars“ auf Wikipedia und sozialen Medien wie Facebook nicht zu übersehen (vgl. auch seine letzten Worte) – ein Umstand, den seine Gegner auch weidlich ausnutzen konnten, um ihn zur Verzweiflung zu treiben.

Heinz Grill weiter zu den Folgen einer Handlung aus Trotz gegenüber einer Affekthandlung aus Verzweiflung:
[Ausschnitt aus vorgenanntem Buch S.156 ff., veröffentlicht 2001, also noch nicht bezogen auf den Fall von Clemens A., sondern auf das Thema Suizid in allgemeiner Weise]

„Der Weg, den der Mensch gehen muss, nachdem er sich das Leben genommen hat, ist ein komplizierter und soll nun einmal in seinem Ablauf zur Schilderung kommen.

Häufig tritt der Suizid eines Menschen für die Hinterbliebenen auf unvorhergesehene Weise ein. Nichtsahnend, ohne größere Vorzeichen und ohne Ankündigung entschwindet ein Mensch durch den Suizid. Bei einem richtig geplanten Unternehmen gelingt in der Regel auch die Tötung des eigenen Körpers, während bei Affekthandlungen, Handlungen, die innerhalb einer Psychose, in einer schweren Depression, oder bei Handlungen, die in der Verzweiflung oder im schnellfertigen Trotz entstanden sind, meist durch die Mitmenschen das Leben noch einmal gerettet wird. Aber auch viele andere Gründe mögen die Menschen zu Gedanken an den Selbstmord oder auch zu regelrechten konkreten Planungen, das Leben auslöschen zu wollen, führen. In den meisten Fällen aber ist eine sehr tiefe Abhängigkeit und Neigung zum Leben ersichtlich, das der Selbstmörder keinesfalls loslassen möchte.

Der Trotz oder die intensivere Anhaftung an Lebensgefühle, das Nichtlösen Können der verschiedenartigen Beziehungsverhältnisse, das Unerfüllt-Bleiben der Erwartungen, die vielen Unfähigkeiten zu einem wahrer menschlichen Dialog von Herz zu Herz und das seelische Befremdet sein im Zueinander lassen sehr leicht die übersteigerten Gefühle, die zu einem Suizid führen können, aufkommen. Wenn dann in einer Familie oder in einem Kreise von Menschen der Suizid von jemandem eingetreten ist, so bleiben außerordentlich beklemmende Schuldgefühle und mysteriöse, verletzte Stimmungen zurück. Als Hinterbliebene wissen wir dann nicht mehr, wohin der Kollege, der Freund, der Verwandte, der Jugendliche oder der Elternteil nach seinem Entschluss, die Welt aus eigenem Willen zu verlassen, hingegangen ist. Wir ahnen nur das schmerzliche Eingebundensein, das Gefängnis der Einsamkeit, das seelenarme Quartier des Geistes, das jener in seiner Verzweiflung nun einnehmen muss.

Im Zwischenreich

„Tatsächlich wählt die Seele einen Ort der geistigen Welt, der weder den Seelenebenen noch den irdischen Ebenen entspricht. Sie wählt einen eigentümlichen Ort an dem sich weder ein Lebender noch ein Verstorbener gerne aufhalten will. Dieser Ort ist eine Art Zwischenreich zwischen Erde und Himmel und ist aber weder mit der Erde noch mit dem Himmel im wirklichen, lebendigen Zusammenhang. Das Leiden ist gewissermaßen für den Suizidanten wie ein Arrest zu sehen, den er nun für eine gewisse Zeit vollbringen muss, bis er dann nach und nach in die seelische Welt und in die Reinigungsebenen übergehen kann. Die Rosenkreuzerschule spricht davon, dass die Zeitdauer dieser Aufenthalte, die Menschen in Folge ihres Suizids durchleben müssen, genau der Phase entspricht, die jener Mensch noch an Lebenserwartung-gehabt hätte. Stirbt jemand beispielsweise durch Suizid im 20. Lebensjahr und wäre seine Lebenserwartung etwa noch 30 Jahre gewesen, so muss er eine Arrestzeit von 30 Jahren nun vollbringen. 30 Jahre lang reißt der Zusammenhang zwischen Himmel und Erde für den Menschen ab. Stirbt jemand aber durch Suizid im 60 Lebensjahr und wäre er noch weitere 10 Jahre alt geworden, so ist seine Zeit, die er zwischen den Welten vollbringen muss, 10 Jahre.

Viele Menschen tragen die Idee zum Suizid in sich, aber nur ein gewisser kleiner Teil dieser Menschen realisiert diese Entscheidung. Vielleicht mögen es moralische Gründe sein, vielleicht mögen es Gründe der Verantwortung gegenüber den Mitmenschen sein, oder vielleicht mögen es Ängste und religiös auferlegte Stimmungen sein, die den Menschen von der wirklichen Entscheidung abhalten. Aber fragen wir uns doch einmal selbst in der Seele sehr inniglich, wie wir in manchen Situationen aus gewissem Trotz heraus vielleicht schon konkrete Überlegungen und Pläne zum Selbstmord gehegt hatten. Immer sind es recht gefährliche, unbekannte Ströme, die sich von innen heraus wie magisch dem Seelenkern bemächtigen. Ein falsches Ich, ein dominierendes Ich, ein ganz leiser Klang eines herrschsüchtigen Ich, das sich allzu leicht in den Mittelpunkt drängen möchte und das den Mitmenschen beweisen will, wie schlecht die Welt ist und wie hoffnungslos sie im sozialen und liebenden Miteinander ausgerichtet sind, bemächtigt sich der Seele und will den Gedanken des Suizids als verdeckte Macht und Trotzhandlung hervorbringen. Dieses Ich des Trotzes, des Herrschens, des Beweisen-Wollens, des Im-Mittelpunkt-der-Aufmerksamkeit-stehen-Wollens existiert in vielen Seelengründen. Aber es ist ein außerordentlich gefährliches Ich, denn es arbeitet nicht mit rationaler Würde, sondern mit ungelebter, verdeckter Macht und es will in jedem Falle den Mitmenschen Schuldgefühle eingravieren. Wenn jemand zum Suizid durch eigenständige Planung kommt, so hat ihn meistens dieses versteckte anonym herrschende Ich in seiner Seele ergriffen, und er weiß somit nicht mehr, was er wirklich für einen Schaden angerichtet hat. Bei den Mitmenschen bleiben dann die eigenartigen Schuldgefühle zurück, denn die Mitmenschen fragen sich, welche Fehler sie begangen haben und warum dieser eine sie verlassen musste. Sie suchen in der Regel die Fehler bei sich selbst und grübeln innerhalb ihrer unsicheren und schwankenden Gefühle. Aber die Schuldgefühle, die sich die Hinterbliebenen machen, entstehen meist aus der schon im Leben bestandenen misslichen, vorwurfsvollen oder verdeckt unabgeschlossenen und unausgesprochenen Situation des Selbstmörders. Suizidgefährdete Menschen besitzen eine außerordentlich schwierige Psyche, sie finden nicht wirklich zum Leben hin und leiden unter ihrer tiefen Neigung zur Welt und zum tätigen Leben. Wir finden bei den Hinterbliebenen deshalb sehr viele Ängste, Unsicherheiten und Schuldvorwürfe vor und bemerken, wie der Suizid eines Angehörigen eine ganze Familie in ihren Standpositionen erschüttern kann. Die Hinterbliebenen wissen nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen und finden oft sehr schwerlich in eine natürliche Mitte.

Viele Selbstmorde und viele Versuche zum Selbstmord entstehen aus einer tiefen Depression oder Psychose heraus, und sie geschehen dann nicht in vollreifer Planung und auch nicht in bewusster Suche nach größerer Aufmerksamkeit, nach einer Mittelpunktstellung und Herrschsucht. Aber jene Menschen, die die Tat planen, stellen sich mit ihrem eigennützigen Abscheiden viel mehr in eine Mitte zu ihren Hinterbliebenen und ernten auf verstärkte Weise die Aufmerksamkeit, denn sie hinterlassen Schuldzuweisungen und viele Unsicherheiten. Der normale Tod eines Menschen durch Unfall oder Krankheit ist erklärbar, aber der Suizid ist für den Menschen, der mit rationalen Vorstellungen das Leben erwägt und dabei ein gewisses religiöses, frommes Bewusstsein besitzt, nicht erklärbar.

Je größer nun die Suche nach Aufmerksamkeit oder nach subtiler Beherrschung bei dem Suizidanten war, umso mehr können wir annehmen, dass dieser sich nun in dem Quartier eines Arrestes befindet und nicht in gewöhnlichen Reinigungswelten der geistigen Ebenen fortschreiten darf.

War es aber eine Affekthandlung, die in der Depression oder in der Verzweiflung geschehen ist, so sind in der Regel die Aufenthaltsorte nicht so sehr in den Stufen zwischen Erde und Himmel, in denen sich der Verstorbene einlebt, sondern sie sind schon mehr im Zusammenhang zu diesen, und die hinterbliebenen Mitmenschen spüren auf nahe Weise ihren Angehörigen oder Freund. Es gibt deshalb viele verschiedene Formen des Suizides und viele verschiedene Stimmungen, die ihn begleiten.

In der Summe aber ist in allen Fällen, bei denen Suizid eingetreten ist, für die Hinterbliebenen eine notwendige Aufklärungsarbeit und eine möglichst progressive Seelsorgeleistung vonnöten. Das Verhältnis von Trotz, Macht, Herrschsucht und falschen, ungelebten Ich-Gefühlen, die zu Aufmerksamkeit führen, zu einer tatsächlichen Verzweiflungstat, zu Psychose oder Depression, ist jedenfalls sehr bedeutungsvoll für die nachtodliche Lebenszeit und für das Band, das der Verstorbene zu den Lebenden einnimmt.“

Möglichkeiten der Hinterbliebenen

„Eine bewusste, nicht mystische, nicht sakramentale, nicht kultgeprägte, sondern aufmerksame, gedankliche und konkrete Leistung zu einem Werden zu einem spirituellen Ganzen kann die Leidens- und Arrestzeit eines zugehörigen, durch Suizid abgeschiedenen Menschen verkürzen. Der Suizidant in seiner Arrestzelle, der unter den Einflüssen fremdartiger Wesen gebunden ist und warten muss, bis er in die seelischen Sphären eintreten kann, erhält durch unsere Bemühungen eine lebendig schwingende Resonanz und erfährt bei sich selbst nun nicht nur Leiden, sondern fühlt plötzlich ein Ich von der Erde heraufkommen und bemerkt die Unsinnigkeit seines eigenen Tuns. Er erfährt sich nicht nur abgeschlossen, sondern er lernt tatsächlich die Wesen, die ihn umgeben und ihn quälen, zu verstehen und spürt einen hoffenden Schimmer von den Erdenverhältnissen heraufstrahlen. Diesen hoffnungsvollen Schimmer brauchen heute die astralen Welten und die Toten, die aus eigenständigem Willen von der Erde abgeschieden sind.

(…)
Neben dieser vom Ich geprägten Spiritualität kann weiterhin eine praktische Seelsorgeleistung für den Abgeschiedenen erfolgen, wenn wir uns selbst darüber bewusst werden, dass im Leben ein auferlegtes Leiden besser ist als gar kein Leiden, und eine Krankheit oder ein Schicksalsschlag noch günstiger sind als die Erfahrung eines Nichts und einer Sinnlosigkeit. Allgemein erfordert das menschliche Triebleben eine ständige Befriedigung und Genugtuung. Es möchte Glück, Frieden, Liebe und Einigung bei sich selbst im kleinlichen Sinne erfahren. Da diese Triebe nach eigener, egoistischer Befriedigung vielfach nicht mehr zufriedengestellt werden können und das Leben kaum sinnvolle Möglichkeiten —zu wirklichen sinnlichen Erfüllung bietet, wähle doch recht viele Menschen den Weg. Eines Auslöschens oder eines Nichts. In diesen vorbelasteten Gemütszustand verdrängt das Oberbewusstsein dann gänzlich seine Bedürfnisse nach der Welt und nach einem Geliebtwerden in der Welt. Das Oberbewusstsein verdrängt vor allem auch das Bedürfnis aus einem gewissen Gefühl der Ohnmacht und des atheistischen Nihilismus heraus. Andere, fremdartige Hoffnungen bemächtigen sich dem Inneren, die dem Leiden aus dem Wege gehen wollen und ihr Kreuz ablegen wollen, indem sie die Entwicklung verneinen. Das Leiden aber gewinnt mit diesen schwierigen inneren, psychischen Konflikten sein degeneratives und prekäres Ausmaß.

Für die Seelsorgearbeit ist es deshalb günstig, wenn wir uns ein Bewusstsein darüber aneignen, dass es niemals möglich ist, aus den gegebenen Lebensströmen und aus den Schicksalen, die uns vom Kosmos und von innen heraus auferlegt sind, herauszutreten. Das Leiden oder das schicksalsmäßig ungerechte Behandeltwerden ist noch besser als ein Nichts oder als eine tatsächlich fremde Welt. Wer einmal in seinem Leben beziehungsweise innerhalb seiner Inkarnationen einen Suizid hinter sich gehabt hat, wird diesen niemals mehr in der weiteren Zukunft begehen denn er hat die Erfahrung des Fremden und des Eingekapseltseins im Kosmos miterlebt und erschafft aus der unbewussten Erinnerung eine Schutzschicht gegenüber dem Suizid.

(…) Wir selbst können uns deshalb in der Seele ein Bewusstsein aneignen, ob wir ein vollkommenes Auflösen und Entfremdetsein von dieser Welt lieber ertragen wollen als ein leidliches, schmerzliches In-der-Welt-Sein. Indem wir uns mit diesen Gefühlen eines tatsächlichen Nichts konfrontieren, des Nicht-in-der-Welt-Seins bei gleichzeitigem Vorhandensein von Wesen, die kein Wort sprechen und keine Verbindung ermöglichen , die uns bewusst in das Nichts aussetzen, des Nicht-tot-Seins und des  Nicht-leben-Könnens und des von der Erde und vom Himmel Ausgesetzt-Seins, lernen wir leichter die Werte des irdischen und auch geistigen Lebens zu schätzen und wir lernen vor allem auch den Suizidabgeschiedenen in seinen Gefühlen kennen.“

(Quelle: Heinz Grill, „Initiatorische Schulung: Die Seelsorge für die Verstorbenen“, Edition Sarca, Stephan Wunderlich Verlag)

—————————————————————————————————————–
Nachtrag: In einem Artikel vom 18.03.2023 äußert sich Heinz Grill mit einer konkreten Sicht zum Tod von Clemens Arvay. Diese wurde im vorliegenden Text noch nicht berücksichtigt:

>> Der mysteriöse Tod von Clemens Arvay

Tagung mit Prof. Christian Schubert und Heinz Grill (Innsbruck, 12.03.2023)

„Beziehung als Ziel – die therapeutische und spirituelle Arbeit“

Ort: Rathausplatz 1, A– 6063 Rum bei Innsbruck
Zeit: Sonntag, 12.03.2023, 13:00 bis 17:00 Uhr

>> Infos / Anmeldung

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Prof. Rainer Mausfeld über „kollektiven Wahnsinn” und den möglichen Bruch der Zivilisation (Interview 2022)

Prof. Rainer Mausfeld bei einem Vortrag über „Tiefenindoktrination”, Quelle: Youtube/wikiTHEK)

In den Geschehnissen der letzten Jahre haben viele die klärende Sicht von Prof. Rainer Mausfeld vermisst. Nach längerer Abstinenz meldet sich der Kieler Kognitionsforscher jetzt wieder zu Wort. Die medial etablierte herrschende Meinung bezeichnet er schlichtweg als „kollektiven Wahnsinn”.  Dieser Wahnsinn würde nun zwangsläufig in eine ausgedehnte Zerstörung führen, womöglich sogar in ein Ende der Zivilisation.

Mausfeld vermag es wie kaum ein anderer, uns mit den Mitteln der Kognitionsforschung eine rationale Annäherung an die Frage zu geben, die derzeit viele denkende Menschen zur Verzweiflung treibt: Wie ist es möglich, dass Bürger einer westlichen Zivilisation, die eine langjährige, vielfach akademische Ausbildung genossen haben, sich nun dennoch in einer Situation wiederfinden, wie sie Platon in seinem Höhlengleichnis beschrieben hat: Gefesselt am Nacken, sodass sie nur in eine Richtung schauen können und „nichts anderes für wahr halten als die Schatten vorgefertigter Gegenstände” (Platon, Politeia)? – eine Situation, in der wir laut Mausfeld allerdings nicht bloß Opfer, sondern selbst zu Komplizen unserer eigenen Unterdrückung geworden seien. In diesem Zustand lassen wir medial erzeugten „Hass und Ausrottungswillen” unwidersprochen und nehmen nun sogar die Möglichkeit eines Nuklearkrieges weitgehend apathisch hin.

In seinem jüngsten Interview verweist Mausfeld auch auf das einzige Mittel, das uns aus dem Sog der massenmedialen Manipulation befreit: „bewusstes Nachdenken”.

Auszug:

>> Die Folgen eines kollektiven Wahnsinns zu prognostizieren ist naturgemäß kaum möglich. Nur dass er zumeist in eine zivilisatorische Katastrophe mündet. 

(…) Die Bevölkerung ist durch einen rigorosen Kampagnenjournalismus und eine zur Perfektion entwickelte Narrativkontrolle in einer so tiefgehenden und umfassenden Weise indoktriniert, wie dies wohl nie zuvor in der Geschichte des Medienwesens der Fall war. Die Bevölkerung ist der Möglichkeit einer eigenständigen Urteilsbildung weitestgehend beraubt und schart sich hochemotionalisiert, teils verängstigt und apathisch, teils fanatisch und im Russenhass vereint, um ihre Führer. Da zudem gegenwärtig jede Form von Dissens sofort aggressiv geächtet, diffamiert und repressiv bekämpft wird, wird es vermutlich noch längere Zeit gelingen, aufkeimenden Protest durch Diffamierungskampagnen zu spalten und zu neutralisieren.

(…) Meinungen und Einstellungen lassen sich nicht so einfach fakten- oder vernunftwidrig manipulieren, weil wir normalerweise über ein natürliches psychisches Immunsystem gegen Manipulation verfügen. Wir bemerken also, dass man uns manipulieren will, und wenden uns von dem vergifteten Vermittlungsmedium ab. Wenn aber unser natürliches Immunsystem gegen Manipulation unterlaufen oder in seiner Funktionsweise beeinträchtigt wird, sind wird einer Manipulation schutzlos ausgeliefert. Genau darauf zielen, wie ich ja an anderer Stelle ausführlicher aufzeige, moderne Indoktrinationstechniken.

Dafür gibt es im Prinzip zwei Wege. Der eine Weg ist struktureller, der andere psychologischer Natur. Der strukturelle Weg besteht darin, durch eine Medienkonzentration in den Händen mächtiger politischer und wirtschaftlicher Eliten eine Art Informationsmonopol zu schaffen. Auf diese Weise werden die Massenmedien, wie dies ja gegenwärtig in beängstigender Weise erkennbar wird, in ihrem Meinungsspektrum extrem homogenisiert, und der öffentliche Debattenraum wird auf die politisch gewünschten Meinungen verkürzt. Damit wird natürlich der Demokratie überhaupt die Grundlage entzogen.

Hier nun kommt ein wichtiger psychologischer Effekt ins Spiel: Psychologische Experimente haben gezeigt, dass einer Behauptung subjektiv ein höherer Wahrheitswert zugeschrieben wird, je häufiger man sie präsentiert. Dieser Effekt zeigt sich selbst dann, wenn diese Behauptung zuvor als eindeutig falsch markiert wurde. Allein durch dauernde Wiederholung steigt tendenziell der gefühlte Wahrheitsgehalt. Das ist schlicht eine Eigenschaft der Funktionsweise unseres Geistes. Man kann sich, wenn überhaupt, vor ihren nachteiligen Folgen nur durch bewusstes Nachdenken schützen. Wenn also eine fakten- oder vernunftwidrige Behauptung von allen großen Medien verbreitet wird, so dass ein politisch interessierter Bürger sie in SZ, SPIEGEL, FAZ, taz oder Tagesschau wiederfindet, so erlebt er sie tendenziell auch dann als richtig, wenn sie nachweislich falsch ist. Dieser Effekt funktioniert so zuverlässig wie die optischen Täuschungen in der Wahrnehmung.

Wenn nun derartige Wiederholungen sich durch alle meinungsbildenden Instanzen, wie Schulen, Universitäten und kulturellen Bereiche ziehen, werden sie zu gefühlten Wahrheiten, die als kaum hinterfragbare Selbstverständlichkeiten empfunden werden. Genau darauf zielt der zweite, psychologische Weg einer Tiefenindoktrination. Das längerfristig angelegte Ziel einer Tiefenindoktrination ist die stabile Formung politischer und gesellschaftlicher Weltbilder und Wertesysteme. Diese Weltbilder oder „Narrative“ werden kognitiv und affektiv so tief verankert, dass sie uns gar nicht mehr als ideologische Weltbilder bewusst sind, sondern uns als Selbstverständlichkeit erscheinen. Sie sind uns so selbstverständlich wie dem Fisch das Wasser.

In dem Maße, wie uns ein ideologisches Weltbild nicht mehr als solches bewusst ist, sind wir auch unfähig gemacht worden, überhaupt noch einen Außenstandpunkt zu ihm einzunehmen. Wir reagieren im Gegenteil ausgesprochen aggressiv auf jeden, der die behauptete Selbstverständlichkeit der vorherrschenden politischen Rahmenerzählung infrage stellt. Eine Tiefenindoktrination hat also für die Mächtigen den Vorteil, dass die von ihnen vermittelte Rahmenerzählung sehr stabil und weitgehend gegen Fakten und Kritik immun ist.

(…) Dies kann mittlerweile sehr viel leichter erreicht werden, weil die Techniken der Indoktrination enorm verfeinert und optimiert wurden – dazu hat besonders die Psychologie entscheidende Beiträge geleistet. Wenn Menschen erst einmal daran gewöhnt sind, vernunftwidrige Behauptungen zu akzeptieren, ist, wie aus psychologischen Studien bekannt ist, insgesamt ihre Befähigung beeinträchtigt, überhaupt noch in rationaler Weise Überzeugungen ausbilden zu können – was für die Machtausübenden natürlich ein gewaltiger Vorteil ist.

Heute ist die massive Indoktrination für die Menschen, die ihr ausgesetzt sind, nahezu unsichtbar gemacht worden. Zwar ist, wie schon Joseph Goebbels wusste, seit jeher bekannt, dass Indoktrination nur wirken kann, wenn sie nicht als solche bemerkt wird. Denn damit ist unser natürliches Immunsystem gegen Manipulation weitgehend ausgehebelt. Die Wirksamkeit moderner Formen der Indoktrination übersteigt, was der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, bei weitem die aller traditionellen Formen von Propaganda. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung zutiefst überzeugt ist, in einer Gesellschaft zu leben, die im Großen und Ganzen frei von Indoktrination ist – einer der spektakulärsten Erfolge der Propaganda überhaupt. Die Lüge hat sich also, in Günther Anders Worten, längst wahrgelogen.

(…) Die Verantwortlichen haben genau so gedacht, wie es der politische Zeitgeist der sogenannten „Zeitenwende“ von ihnen erwartet. Sie haben das aus dieser Perspektive Selbstverständliche gedacht und getan. Insofern sie den herrschenden Zeitgeist in vorauseilendem Opportunismus lediglich zu seinem konsequenten Ende gedacht haben, stellt sich für sie die Frage einer Verantwortlichkeit gar nicht. Denn dies würde die Möglichkeit voraussetzen, überhaupt noch einen Außenstandpunkt einnehmen zu können. Genau das ist aber gar nicht mehr möglich.<<

Der Frage nach einem Ausweg aus diesem Teufelskreis begegnet Mausfeld mit nüchternem Realismus. Gleichzeitig setzt er jedoch auch auf das innerste Potential, das uns Menschen immanent ist: Den Willen zur Freiheit und eine „natürliche Befähigung zur Moralität”:

>> Diese Frage [nach einem Entkommen, A.d.V.] kann ich nicht, zumindest nicht in befriedigender Weise, beantworten. Und ich wüsste auch nicht, wer sie in seriöser Weise beantworten könnte. Zugleich ist es aber die wichtigste und drängendste Frage, vor der wir stehen. Unzählige Menschen in aller Welt suchen mit großem Engagement nach Antworten und nach Auswegen aus dem Indoktrinationsgewölbe.
(…)
Von einer solchen Wahrnehmung sind wir noch weit entfernt, trotz wachsender Empörung in zunehmend größer werdenden Teilen der Bevölkerung. Die Status-quo-Beharrung, die politische Apathie und die moralische Gleichgültigkeit haben durch Konsumismus, Unterhaltungsindustrie, Überflutung mit Nichtigkeiten durch Medien und durch eine tiefgreifende soziale Atomisierung einzigartige Ausmaße erreicht.

Zugleich zeigt die Geschichte, dass immer wieder über kurz oder lang geeignete Formen von Gegenmacht der gesellschaftlichen Basis entstanden sind. Der Grund liegt darin, dass wir als Menschen ein natürliches Bedürfnis haben, nicht dem Willen anderer unterworfen zu werden. Und dass wir über eine natürliche Befähigung zur Moralität verfügen. Dazu gehören Abscheu gegen Ungerechtigkeit und Unrecht, und Mitleid mit denen, die Leid und Unrecht erfahren. Diese natürlichen Befähigungen gehören zur Beschaffenheit des Menschen. Sie sind die psychologischen Quellen allen emanzipatorischen Fortschritts. Auf diesem Fundament können wir unsere Hoffnung gründen.
(…)
Ein gesichertes Fundament dabei ist die Einsicht, dass der Mensch als einziges Lebewesen über ein geradezu unerschöpfliches kreatives Potential verfügt – und zwar sowohl im Destruktiven wie im Konstruktiven.<<

Ganzes Interview: >> https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/folgen-eines-kollektiven-wahnsinns/

Beschreibung: Mausfeld_Hybris_und_Nemisis

Hinweis: Neues Buch von Rainer Mausfeld:  Hybris und Nemesis (geplante Herausgabe: Herbst 2023)

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Tod eines Vatikan-Insiders, der zuviel wusste („Der Kurienkardinal und sein Kaplan“)

Foto: Vatikan, Creative Commons

Vorwort der Websitebetreiber:

In einem umfangreichen Schriftwerk hat Prof. Dr. theol. habil. Hubertus Mynarek bereits den Schleier der vermeintlich ehrenwerten Institution gelüftet und einen ernüchternden Blick auf den Status Quo eröffnet: einer von Machtstreben, institutioneller Korruption und Pragmatismus geprägten Organisation, die realiter mittlerweile das regelrechte Gegenteil von dem darstellt, was ihr gutgläubige Menschen gemeinhin zuschreiben. Als ehemaliger Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien ist Mynarek selbst Insider der Kirchenhierarchie, mit deren ranghöchsten Vertretern er auf Augenhöhe Umgang gepflegt hat und daher authentisches Zeugnis über deren Gedankenwelt abgeben kann. Wer gedacht hat, dass es in dieser Gedankenwelt um Wahrheit oder lebendigen Glauben geht, wird hierbei radikal desillusioniert. Vielmehr entpuppt sich die Riege der Kirchenfürsten überwiegend als „gleichgültige Agnostiker oder praktische Atheisten“, die sich neben der Bewahrung herrschender Dogmen vor allem den eigenen Karriereambitionen verpflichtet fühlen.

Ihren Herrschaftsanspruch leitet die Kirche hierbei aus einer zwiespältigen Interpretation der historischen Jesusfigur ab: Einerseits wird das – der historischen Überlieferung widersprechende  – Bild eines weitab allen Irdischen thronenden und moralisch unerreichbaren Asketen gezeichnet. Andererseits, wie insbesondere in der jüngeren evangelischen Exegese vermehrt zu finden, das Bild des „schlichten Mannes von Nazareth“, der de facto aller auf eine höhere individuelle Geistigkeit hinweisenden Attribute entkleidet und den Kirchgängern als Vorbild für devotes, vermeintlich gutmenschliches Verhalten präsentiert wird. In beiden Fällen werden die Gläubigen einer wirklichen Entwicklungsmöglichkeit an einem menschengerechten, d.h. sowohl geistig-seelischen als auch irdisch gültigen Ideal beraubt und in ihrem Bedürfnis nach Religiosität mit im Wesentlichen inhaltslosen Glaubensformeln und einem nihilistischen Christusbild abgespeist. Eine Entwicklung zu eigenständiger, authentischer und sozialfähiger Spiritualität bleibt ihnen auf diese Weise verwehrt.

Rudolf Steiner sieht in dieser Diskrepanz keine bloß zufällige Tragik, sondern nichts weniger als die „Mission des Papsttums“, die Menschen vor einer wirklichen Erkenntnis des christlichen Impulses abzuhalten. Damit betrüge die Kirche die Gläubigen geradewegs um das, was sie zu lehren vorgibt:

„Die Mission des Papsttums besteht in der katholischen Kirche überhaupt im Wesentlichen darinnen, Europa davon abzuhalten, zu erkennen, was eigentlich der Christus-Impuls ist. Mehr oder weniger bewusst handelt es sich darum, eine Kirche zu begründen, welche vollständigstes Verkennen des eigentlichen christlichen Impulses sich zur Aufgabe setzte, nicht unter die Leute kommen zu lassen, was der eigentliche Impuls des Christentums ist. Denn, wo immer versucht wird, irgendein Element in den Vordergrund zu stellen, das mehr an den christlichen Impuls heran will – sagen wir das Element des Franz von Assisi oder ähnliches –, da wird das zwar konsumiert, aber in die eigentliche Struktur der Kirchengewalt doch nicht aufgenommen.“ (GA 180, S. 322f)

Steiner weiter an anderer Stelle: „Denn die katholische Kirche hat das Ziel, die christliche Wahrheit sorgfältig zu vermeiden und die Macht der Kirche so groß als möglich zu machen. Sie werden sie nicht rühren dadurch, dass Sie immer christlicher und christlicher werden. Sie können sie nur versöhnen, wenn Sie einfach ein Mensch sind, auf den die katholische Kirche als auf einen zu Rom gehörigen Menschen schwören kann. Und nicht anders können Sie sie versöhnen (…) Das Schlimme liegt darin, dass ein großer Teil der Menschen noch nicht einsieht, dass es eben unmöglich ist, innerhalb der Bekenntnisse zu stehen und die Wahrheit zu sagen. Nicht wahr, man kann eine tragische Persönlichkeit werden innerhalb eines Bekenntnisses, aber man kann nicht ein Amt innerhalb eines Bekenntnisses haben und die Wahrheit sagen. Das ist gar nicht möglich heute, so dass also das Verhalten gegenüber der katholischen Kirche, ich möchte sagen, so bezeichnet werden kann: so lange wie möglich die Aspirationen der Kirche ignorieren und sich dann daran machen, die Verlogenheiten im Einzelnen aufzuzeigen. Dann wird man wenigstens einen Weg einschlagen, der durch die Tatsachen geboten wird.“ (GA 338)  

Diesen Weg, die Verlogenheit der Kirche aufzuzeigen, hat der Autor der nachfolgenden Zeilen in pionierhafter Weise beschritten. Es wird hierbei exemplarisch gezeigt, was geschieht, wenn bei einem Kleriker das Gewissen und der Drang nach Wahrheit gegenüber den obrigkeitlich verkündeten Dogmen erwacht: Er wird umgehend ausgegrenzt und zum Schweigen gebracht. Wenn er über die Interna der Kirche zuviel weiß und deren Machenschaften an die Öffentlichkeit bringen möchte, muss er nicht nur mit existenzieller Vernichtung, sondern auch mit „Beseitigung“ rechnen – so wie jener angehende  Priester und spätere Mitarbeiter im Vatikanischen Verwaltungsapparat, dem im nachfolgenden Dialog das Wort geliehen wird.

Anmerkung des Autors (Prof. Dr. theol. habil. Hubertus Mynarek):

Der nachfolgende Dialog fand in dieser textadäquaten, buchstabengetreuen Form nicht statt, ereignete sich jedoch in ganz ähnlicher Form zwischen jungen noch die Wahrheit suchenden  Priesterkandidaten bzw. schon geweihten Klerikern auf der einen Seite und Männern aus der kirchlichen Hierarchie (Bischöfen, Erzbischöfen, Kardinälen) auf der anderen Seite tausendfach überall, wo die Kirche überhaupt noch vorhanden ist.

Allerdings: Das in den zwei letzten Abschnitten des Artikels Ausgeführte stimmt genau, hat sich tatsächlich so ereignet, außer dass der Vorname des getöteten Priesters geändert wurde.

Folgende Ausführungen stellen auch ein Kapitel in meinem Buch, „Casanovas in schwarz , Zehn Schlüsselgeschichten über Priesteraffären“ (Verlag Die Blaue Eule, Essen) dar. Die Zwei Auflagen dieses Buches sind vergriffen. Es erscheint jedoch noch in diesem Jahr neu im NIBE Verlag, Würselen.

[Zur besseren Erfassung des Gesamtkontextes stellen wir dem nachfolgenden Dialog auch sogleich seine Konsequenz bzw. die Lebenshistorie der darin vorgestellten Proponenten voran – Diese Absätze bilden in der Originalausgabe den Abschluss des Kapitels:]

>> An dieser Stelle endet im Grunde das Gespräch zwischen dem Kardinal und seinem Assistenten. Denn in dessen Gehirnkasten hatten die Alarmglocken unüberhörbar geläutet, als der Kardinal vom Unschädlichmachen der Gegner seiner höheren Wahrheit gesprochen hatte. Da wurde es dem jungen Priester endgültig klar, dass auch die Altersweisheit dieses Kirchenfürsten ihn nicht daran hindern würde, gegen seinen Assistenten vorzugehen, wenn dieser sich weiterhin gegen die „höhere“ Wahrheit sperren sollte. Obwohl der junge Mann von der Tugend der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit an sich sehr viel hielt, hatte er es doch mit der Angst zu tun bekommen. Deshalb beendete er das Gespräch mit dem jetzt auch müde und erschöpft wirkenden Kardinal mit einer Lüge, mit der Bemerkung nämlich, dass er dessen kirchliches Wahrheits- und Strategiekonzept sehr plausibel und überzeugend, ja als das einzig Richtige empfinde. Der Kardinal nahm es als bare Münze, weil er sich immer schon für einen Meister in der Kunst der Darstellung und Suggerierung schwieriger Sachverhalte gehalten hatte. Er prophezeite seinem Kaplan sogar eine große Kirchenkarriere in der Zukunft, da er doch nun diese erste schwere Hürde genommen habe und somit sozusagen zum inneren Kreis der Elitären in der Amtskirche gehöre, obwohl er doch noch gar kein Kirchenfürst sei. Aber das werde noch kommen, er, der Kardinal, werde ihn weiterempfehlen.

In Wirklichkeit war in dem jungen Priester eine ganze (Glaubens-)Welt zusammengebrochen, und er musste seine ganze Kraft aufbieten, um sich vor dem Kardinal so zu verstellen, dass der nicht erriet, was in ihm vorging. Er hatte den Eindruck, dass alle Ideale, die er bisher so hochgehalten hatte, durch die Rede des Kardinals beschmutzt und erniedrigt worden seien. Seine ganze geistige Grundhaltung war wie weggeschwemmt. Sogar die junge Nonne, seine Geliebte, mit der er sich ein paar Stunden nach dem Gespräch mit dem Kardinal wieder heimlich traf, bekam das beim Beischlaf zu spüren. „So fleischlich, so total körperlich und unpersönlich hast Du mir aber noch nie beigewohnt“, äußerte sie vorwurfsvoll. „Heute hast Du mich wirklich nur zum Abreagieren gebraucht. Was ist Dir denn über die Leber gelaufen?“ Eine Weile überlegte der Priester, ob er sie in sein Geheimnis einweihen sollte, dann legte er los und schilderte ihr rückhaltlos das Gespräch mit dem Kardinal.

Die kleine Nonne, in die unser Priester so verliebt war, war noch viel naiver und gutgläubiger als er. Sie hatte ja kein Theologiestudium wie er absolviert, ihr Glaube bewegte sich auf Katechismusniveau. „Also ich halte es für ganz unmöglich, dass alle Kirchenfürsten so denken wie unser Kardinal“, erklärte sie entschieden, nachdem der Priester seine Schilderung beendet hatte. „Vielleicht“, gab sie zu bedenken, „ist ja dieser Kardinal gar nicht so weise und gut, wie er uns bisher erschienen ist. Vielleicht ist er verbittert, enttäuscht über so Manches, das in seinem Leben schiefgelaufen ist. Z.B. über die Intrigen seiner Amtsbrüder, die ihm damals, als er einer der aussichtsreichsten Papstkandidaten war, so viele Steine in den Weg legten, dass er von sich aus, noch vor dem Eintritt in das Konklave, vor der Presse erklärte, er stehe auf keinen Fall für das höchste Amt in der Kirche zur Verfügung. So etwas wirkt sich doch auch auf die Lebensanschauungen eines Menschen aus.“

„Du hast recht“, urteilte jetzt auch der junge Priester, „es wäre ungerecht, aus einem einzigen Gespräch mit einem einzigen Kardinal zu weitreichende Schlüsse zu ziehen. Momentan ist zwar glaubensmäßig alles in mir wie erstorben, aber für ein endgültiges Urteil über diese ganze Geschichte ist es zu früh. Ich werde erst noch bei anderen Kirchenfürsten herumhorchen, wie sie die Sache sehen.“ Dazu sollte er sehr bald Gelegenheit bekommen, denn der Kardinal, dem er bisher zugeteilt war und mit dem er jenes tiefschürfende Gespräch geführt hatte, starb ein paar Wochen später, hatte aber Wort gehalten und seinen Assistenten einigen Kurienkardinälen wärmstens für eine Kirchenkarriere empfohlen.

So wurde Jakob nacheinander Mitarbeiter, Sekretär, Referent etc. in diversen Vatikanischen Sekretariaten, Kommissionen, Kongregationen und lernte auf diese Weise die Macht- und Herrschaftsmechanismen in der römischen Weltzentrale des Katholizismus immer intimer kennen. Er kam mit vielen hohen kirchlichen Würdenträgern in und außerhalb der Kurie in Kontakt und musste immer wieder feststellen, dass die meisten von ihnen pure Machtmenschen und Ehrgeizlinge waren, die nur an ihren eigenen Aufstieg auf den Stufenleitern der kirchlichen Hierarchie dachten, dabei jedoch klugerweise ständig das Wohl der Mutter Kirche im Munde führten. Zwar kam es mit diesen Herren nie mehr zu einem so langen und aufschlussreichen Gespräch wie mit dem inzwischen verstorbenen Kardinal, zwar erläuterte unserem Priester keiner von ihnen so offen und entlarvend die Wahrheitsstrategie der Kirche, in der Gott und sein Christus nur als illusionäre metaphysische Stützen für die Stabilisierung des Papsttums und der Hierarchie herhalten müssen. Aber Jakob erkannte doch stets von neuem, dass im Leben, in der tagtäglichen Praxis dieser Herren Gott nicht die geringste existentielle Rolle spielte, dass sie zwar mehr oder weniger intensiv für die Interessen der Kirche eintraten, weil dies auch ihren eigenen Karriereinteressen entsprach, dass sie jedoch in Bezug auf das Gottesproblem gleichgültige Agnostiker oder praktische Atheisten waren.

Jakob konnte zuhören, konnte schweigen, war diskret, und er hatte gelernt, stets die Form zu wahren und keine Gefühle, zumindest keine überschwänglichen, zu zeigen. So erschien er seinen Gönnern und Förderern in der Römischen Kurie für die Übernahme höherer Funktionen bestens geeignet. Aber seinen unbedingten Gehorsam wollte man vorher doch noch testen. So schickte man ihn mit verschiedenen schwierigen, teilweise ihm auch sinnlos erscheinenden Missionen in Entwicklungsländer, nach Afrika, Südamerika usw. Jakob nahm alle diese Aufträge bereitwillig an, nicht weil er Karriere machen wollte, sondern weil er den in ihm immer stärker reifenden Entschluss, der Kirche den Rücken zu kehren, auf eine möglichst breite Basis eigener Informiertheit zu stellen gedachte. Er galt als äußerst vertrauenswürdig, und so erhielt er Zugang zu vielen Generalvikariaten und erzbischöflichen Palästen dieser Länder. Was er dabei an engsten Kontakten hoher kirchlicher Würdenträger mit Diktaturen, Militärjuntas, Mafia-Bossen, Spionagediensten, Drogenschmugglern etc. entdeckte, demonstrierte ihm unwiderlegbar, dass Gott, egal, ob die Herren der Kirche nun an ihn glauben oder nicht glauben, keinen von ihnen daran hindert, die dunkelsten und dreckigsten Geschäfte dieser Welt zu machen. Gott als höchste Instanz und stärkste Stütze der Moral – das verkünden sie zwar großspurig, sagte sich Jakob, aber ihre ganze Praxis beweist, dass sie selber daran nicht im mindesten glauben.

Derart empört war Jakob über all das, dass er umfangreiche Dossiers anfertigte, in denen er minutiös beschrieb und belegte, was er entdeckt und aufgedeckt hatte. Sein Enthüllungsmaterial versandte er an einige prominente Kirchenkritiker, versehen mit dem Zusatz, dass sie sich auf noch brisanteres Material gefasst machen sollen. Dazu kam es aber nicht mehr. Im Schnellzug Genf-Paris fand man ihn tot auf. Die näheren Umstände seines plötzlichen Todes wurden nie geklärt. Seine Geliebte, die junge Nonne, von der oben die Rede war, sagte mir unter Tränen und in grenzenloser Verzweiflung: „Sie haben ihn umgebracht. Er wusste zuviel!“ <<

Der Kurienkardinal und sein Kaplan
Ein aufschlussreiches Gespräch über Jesus, die Moral und den Zölibat

(von Prof. Dr. theol. Hubertus Mynarek)

Der Kardinal, um den es im sogleich zu berichtenden Fall geht, ist ein alter Herr mit 86 Jahren auf dem krumm und steif gewordenen Rücken. Seinen Dienst in der Kurie versieht er schon lange nicht mehr, aber wegen seiner großen Verdienste um die Mutter Kirche hat der Papst höchstpersönlich verfügt, dass ein junger Priester sich ständig zu seinen Diensten bereithält. Dieser Kaplan oder Assistent unseres hochangesehenen Kurienkardinals hat sich in eine junge Ordensfrau verliebt, die dem Kardinal aus dem nahegelegenen Nonnenkloster tagtäglich das Essen bringt, es zuweilen auch selber in der Wohnung des Kardinals zubereitet.

Der junge Geistliche hat also ein Problem, weil er sich tatsächlich in seinem Leben zum ersten Mal richtig verliebt hat und seine Liebe von der jungen Frau auch erwidert wird. Aber so sehr sie auch ineinander verliebt sind, sie haben beide dabei ihre Gewissensbisse und moralischen Skrupel. Sie, weil sie doch schon ihre ewigen Gelübde (der immerwährenden Reinheit und Jungfräulichkeit) abgelegt hat; er, weil er sich doch zum Zölibat, zur priesterlichen Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit bei der Priesterweihe verpflichtet hat Aber das Problem mit dem Zölibat weitet sich ihm im Zusammenhang mit seiner Affäre immer mehr aus. Er bekommt ständig weitere Zweifel, er fängt an, alles und jedes zu hinterfragen Bei der Suche nach den Gründen, die entweder den Zölibat oder aber seine Liaison mit der Nonne rechtfertigen könnten, landet er schließlich bei Jesus selbst, also beim Ursprung der christlichen Religion. Und er fragt sich, ob denn dieser Jesus selbst zölibatär gelebt habe oder verheiratet gewesen sei, ob Jesus denn überhaupt als Legitimationsstütze für das kirchliche Zölibatsgesetz herhalten könne.

Aber diese ganze verzweifelte Suche nach Gründen und Gegengründen droht ihm inzwischen alle Fundamente wegzuschwemmen, die sein bisheriges Glaubensleben getragen haben. Er wird immer unsicherer. Schließlich entschließt er sich, den Kardinal, dem er ja zugeteilt ist und der auf ihn einen weisen, freundlichen Eindruck macht, diesbezüglich zu befragen. Er ist dabei vorsichtig genug, die Frage nach dem Zölibat, nach der Erotik und Sexualität im Priesterleben nicht direkt zu stellen. Er hofft vielmehr, dass die Sprache letztlich auch darauf kommen könnte, wenn er zunächst einmal nach der Bedeutung Jesu für die moralische Gesetzgebung der Kirche fragt.

Hier also das sich nun entwickelnde Gespräch zwischen dem Kardinal (=K) und seinen Assistenten (=J, weil sein Vorname Jakob lautet):

J.:           Eminenz, Sie sind so weise, so klug, so belesen, sagen Sie mir, was man von den Kritikern halten soll, die ein ganz anderes Jesusbild entwerfen als das, welches unsere Mutter Kirche lehrt, die auch eine Diskrepanz sehen zwischen der Moral Jesu und der Moral der Kirche.

K.:          Nun, mein Sohn, ich hätte Dir noch vor wenigen Jahren darauf geantwortet, dass diese Kritiker nicht ernst zu nehmen sind, dass böser Wille sie dazu verleitet, Existenz und Vollkommenheit des Gottessohnes Jesus Christus sowie seine Kontinuität mit der Kirche anzuzweifeln oder gar zu leugnen. Aber ich bin jetzt alt, stehe an der Schwelle des Todes, sehe die Dinge glasklar, aber auch gelassener und will Dir reinen Wein einschenken, wobei ich nur ein wenig Angst habe, dass Du vielleicht noch zu jung bist, um die ganze Wahrheit zu verkraften.

J.: Oh, Eminenz, ich dürste nach der Wahrheit, und ich denke, dass ich stark genug bin, sie zu verkraften.

K.: Ja, ja, Jugend überschätzt sich leicht. Aber wer, ob jung oder alt, könnte schon die ganze ungeschminkte Wahrheit ertragen? Sei’s drum, ich muss vor meinem Tode einfach noch einiges loswerden. Du musst nur versprechen, dass Du es für Dich behältst. Versprich mir, dass Du es wie das Beichtgeheimnis hüten wirst.

J.: Ich verspreche es hoch und heilig.

K.: Also, um auf Deine grundsätzliche Frage zurückzukommen: Wie und wer war Jesus wirklich? Siehst Du, mein Sohn, all die Leute, die einen anderen Jesus als den der Kirche lehren, haben ja in Vielem oder Manchem nicht Unrecht. Jesus war tatsächlich nicht der erste Christ, sondern Jude, dem es nicht im Traum eingefallen wäre, eine neue Religion zu gründen, die christliche; er lebte völlig in der Vorstellungswelt der mosaischen Religion und der damaligen israelitischen Moral, wiewohl er diese in mancherlei Hinsicht vertiefen und veredeln wollte. In gewissen Dingen aber war er für meinen Geschmack zu leger, ja bisweilen geradezu lax bis lasziv, wenn ich an seinen Umgang mit Frauen, besonders mit Maria Magdalena oder mit Johanna, der Frau des Finanzministers des Königs Herodes, denke. Offenbar liebte er viele Frauen und legte sich dabei keine Zügel an, allerdings auch nicht seinen Jüngern. Aber auch in anderen Hinsichten war er nicht ohne Fehler. Denke nur an seinen Jähzorn und seine Arroganz, wie er den Feigenbaum oder auch ganze Städte verflucht, nur weil dieser noch keine reifen Früchte trug bzw. diese Städte ihn nicht gastfreundlich aufgenommen hatten. Er konnte schneidend schroff sein, z.B. zu seiner Mutter oder der heidnischen, eben nicht jüdischen Frau, die ihn anflehte, doch ihre Tochter zu heilen. Aber dennoch wäre es ihm als Gotteslästerung erschienen, sich selbst für einen Gott, für den authentischen Sohn Gottes zu halten. Wissenschaftlich-exegetisch besehen, wissen wir nicht einmal genau, ob er sich für den Messias hielt.

J.: Aber, Eminenz, wenn dem so wäre, dann fiele ja das Jesusbild unserer Kirche wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Dann stimmte die ganze dogmatische Lehre der Amtskirche über Jesus Christus überhaupt nicht mehr. Sie wäre Fälschung, Betrug, alles andere als die zu unserem Heil notwendige Wahrheit!

K. Ruhig, mein junger Freund, nur ruhig! Ein wenig mehr Geduld, wenn ich bitten darf. Ich bin ja noch längst nicht am Ende meiner Ausführungen. Die Wahrheit ist doch keine Ware, die nur so herumliegt und die man bloß aufzuheben braucht. Auch nicht etwas, das man aus der Vergangenheit einfach hervorholen kann. Was die nichtkirchlichen Bibelforscher hervorholen, sind doch keine unbezweifelbaren Geschichtswahrheiten, sondern nur Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten, Hypothesen, Mutmaßungen, die durch die Evangelientexte und die jüdische Umwelt zur Zeit Jesu mehr oder minder gestützt und bestätigt werden. Wir haben ja nur diese Evangelien, die kanonischen wie die apokryphen, die uns etwas über Jesus sagen. Die paar außerchristlichen Zeugnisse kannst Du vergessen, die stützen sich auf Beobachtungen von Christengemeinden, die an Jesus glaubten, und tragen zur Kenntnis der Person Jesu gar nichts bei. Selbst wenn jemand behaupten wollte – und das tun ja einige Historiker -‚ die Gestalt Jesu sei von den Urchristen erfunden und die Evangelien seien Niederschläge der stufenweisen Konstruierung dieser Gestalt, könnte man dies nicht einfach als völlig unwissenschaftliche These disqualifizieren.

J.: Ja, aber dann wäre es doch ebenso, wie ich vorhin eingewendet habe, dass die Lehre der Kirche über Jesus die Unwahrheit ist.

K.: Du hast, mein junger Hitzkopf, nicht genau auf das gehört, was ich gesagt habe. Denk an das, was ich über die Wissenschaftler sage, die zu anderen Ergebnissen bezüglich der Gestalt Jesu kommen, als sie die Kirche lehrt. Diese Ergebnisse sind, so sagte ich, höchste Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten, mehr oder minder plausible Hypothesen. Wahrheit liegt niemals vor, sie kann aus der Vergangenheit nicht einfach hervorgeholt, sondern muss konstruiert, also hergestellt werden. Sie wird erst real durch die, die die Macht haben, sie zu formulieren und zu konstruieren und den Menschen verbindlich aufzuerlegen. Verstehst Du jetzt, was ich wirklich gemeint habe: Ohne eine Institution, eine Organisation, eine Gruppe von Tonangebenden in einer Epoche, einer Gesellschaft gibt es keine verbindliche Wahrheit. Wahrheit ist nicht das, was ist. Wahrheit ist das, was gemacht wird. Es kann uns, der offiziellen Kirche, im Grunde schnippe und egal sein, was die Bibelforscher in Bezug auf die Gestalt Jesu noch alles ausgraben, ans Tageslicht holen, als mehr oder weniger sichere Erkenntnis über ihn ausgeben werden. Wichtig ist doch nur, dass wir, die Amtskirche, die Weltkirche, auch eine weltumfassende Aufgabe haben, nämlich der Menschheit eine heilbringende Wahrheit zu bringen, die unvergleichlich höher steht als all diese sogenannten wissenschaftlichen und historischen Wahrheit. Diese ganz und gar überlegene Wahrheit braucht gar keine »Ist- Wahrheit« zu sein, sondern muss eine »Soll-Wahrheit«, eine »Ideal-Wahrheit« sein: nämlich dass es vor langer Zeit einen Menschen gegeben hat, der zugleich der wahre, unendlich vollkommene Sohn Gottes war, von Gottvater geschickt, uns zu erlösen, von unseren Sünden zu befreien. Auf diese Weise bekommt die Menschheit das höchste denkbare Vorbild vorgesetzt, das beste Gegengewicht gegen die Götzen, die Idole (Gurus, Führer, Popmusik-Idole, Filmstars etc.), die es gerade heute in Hülle und Fülle wieder gibt.

J.: Aber das ist doch dann keine reale, keine geschichtliche Wahrheit, die da über Jesus gelehrt wird, sondern eine phantastische Idealwahrheit, die uns über den wirklichen Jesus, wenn er denn vor fast 2000 Jahren in Palästina gelebt hat, nichts sagt.

K.: Mein Sohn, das Ideal ist immer wichtiger als die (historische) Realität! Wenn man dieser nähertritt oder, wenn das möglich wäre, näher an sie herantreten könnte, dann würde man merken, wie fehlerhaft, wie befleckt, wie bisweilen sogar nichtssagend und nichtig diese Realität in Wirklichkeit war oder ist. Wir manipulieren daher, wenn man schon das böse Wort Manipulation in diesem Zusammenhang benutzen will, die (graue) Realität, auch die Realität über Jesus, zu ihrem Besten. Wir verbessern sie zum Ideal! Wir machen aus diesem kleinen, unbedeutenden, etwas nichtssagenden Galiläer, von dem die antike griechisch-römische Kulturwelt überhaupt keine Notiz nahm, eine große, ja die größte, religiös und ethisch wichtigste Gestalt der ganzen Weltgeschichte. Vor allem: Wir haben diese Gestalt auch auf ein ganz neues, viel höheres ethisches Niveau emporgezogen, vielleicht haben wir ihm überhaupt erst einmal eine ethische Qualität gegeben, denn seien wir doch ehrlich, der Mann war doch wahrscheinlich ein Hippie, ein Genießer, ja ein Chaot und Anarchist, der sich über heiligste Bräuche und Konventionen seiner jüdischen Umwelt hinwegsetzte, der die jüdischen und römischen Obrigkeiten relativierte, keine Herrschaft über sich anerkennen wollte. Nicht einmal das ethisch Gute erkannte er als solches an, sonst hätte er doch den korrupten Lumpen von Zöllner nicht dem frommen und gute Werke vollbringenden Pharisäer oder den Hurenbock und Verschwender von einem verlorenen Sohn dem fleißigen, treuen, beim Vater gebliebenen Sohn vorgezogen. Er hätte auch die Arbeiter der letzten Stunde nicht ebenso entlohnt wie die den ganzen Tag im Schweiß ihres Angesichts Schuftenden. Ich wundere mich sowieso, dass sich die Gewerkschaften noch nie über diesen so krass ungerechten Text empört haben.

J.: Also eigentlich hat die Kirche dann aus Jesus etwas ganz Anderes gemacht, als er ursprünglich war.

K.: Richtig, aber Du darfst nie vergessen: Sie hat es in bester Absicht getan, um den Menschen, so wie sie sie versteht, etwas außerordentlich Gutes zu tun. Ohne unsere Bearbeitung der Gestalt Jesu ist dieser zu nichts nütze, im Gegenteil: er ist direkt kontraproduktiv. Wir mussten ihn sozusagen präparieren, geradezu umkrempeln. Ich weiß, mein junger Freund, das ist starker Tobak für Dich. Aber vergiss nicht: die Kirche weiß, wo’s langgeht. Sie hat eine jahrtausendealte Erfahrung und weiß, was die Menschen brauchen. Sie brauchen Idole, gute Idole, denn nur das Idol, nicht die Realität tröstet. Wir haben ein Idol konstruiert, das viel besser ist als die Idole, an denen sich die Leute, insbesondere die Jugend, heute berauschen. Die verehren irgendeinen Nur-Menschen, einen Filmstar, einen prominenten Forscher oder Wohltäter der Menschheit u.ä. Wir setzen der Menschheit ein Wesen vor, das Mensch ist und zugleich mehr als ein Mensch, nämlich leibhaftiger Gottessohn, womit wir alle anderen zu sehr von Menschen verehrten Vorbildern einfach zu Götzen erklären können.

J.: Das ist doch dann sehr clever, fast schon raffiniert gemacht: diese Desavouierung aller anderen Vorbilder zugunsten des von der Kirche gemachten Vorbildes. Kann man denn insofern noch von „bester Absicht“ sprechen, oder verfolgt die Kirche nicht doch ein paar Eigeninteressen, wenn sie den Menschen einen derart stark umfunktionierten Jesus darbietet?

K.: Wir fühlen uns eben für die Moral der Menschheit verantwortlich und auch zuständig. Das ist eine so große Sache, da muss uns jedes Mittel zur Grundlegung und Förderung dieser Moral recht sein.

J.: Auch das der Verfälschung der (historischen) Wahrheit, das der Deklarierung eines Gottessohn-Mythos zur Realität?

K.: Auch das! Wo wenn nicht hier heiligt der (hohe) Zwecke die Mittel?! Nur ganz Wenige handeln aufgrund eines inneren Gewissensantriebs. Die Masse kommt nicht einmal zu einer Minimalmoral, wenn wir ihr kein göttliches, kein gottmenschliches Vorbild vor die Nase setzen, das sie führt, ihr befiehlt, sie belohnt oder bestraft. Dass wir, die hierarchische Kirche, dabei als Mittler, als irdische Ausführungsorgane dieser göttlichen Belohnungs- und Bestrafungsrituale, z.B. mithilfe der Beichte, fungieren und uns dabei von niemandem ersetzen lassen, ist doch fast selbstverständlich. Nur Böswillige können das als unser gruppenegoistisches Eigeninteresse schlechtmachen. Natürlich versuchen wir unsere Herrschaft immer mehr zu festigen, denn die Festigung unserer Herrschaft dient ja auch der Festigung des Christusidols, das die Masse braucht, um moralischer zu werden. Ich gebe zu, da besteht auch eine Wechselwirkung, denn wenn die Menschen an dieses Ideal eines Gottessohnes immer fester glauben, glauben sie auch immer stärker an die göttliche Sanktionierung, an die Gottgestiftetheit unserer Institution. Wir machen es ja andererseits den Menschen in vielen Hinsichten auch nicht allzu schwer. Sicher, wir verbieten ziemlich rigoros Vieles in puncto Sexualität. Aber zugleich wissen wir, dass die meisten Menschen die Verbote des außer- und vorehelichen Geschlechtsverkehrs, der Homo- und Bisexualität, der Ehescheidung, der Masturbation usw. ohnehin nicht halten. Dadurch kriegen sie ein schlechtes Gewissen, ein sie belastendes Schuldbewusstsein. Und dann stehen wir da wie der Vater des verlorenen Sohnes und erlassen den Schuldbewussten in der Beichte gütig ihre Sünden. Diese Aufrechterhaltung eines Bewusstseins der Schuld ist zwar ein Mittel unserer Herrschaft, aber auch damit dienen wir ja den Menschen, ihrer Entsündigung, ihrer Moral. Und da, wo dieser Anarchist Jesus zu rigorose Forderungen gestellt hat – denke nur an den Befehl, alle Habe aufzugeben und ihm zu folgen -‚ dort haben wir diese Postulate einfach dem Vergessen anheimgegeben oder sie in die Klöster verlegt, wo der einzelne Mönch, die einzelne Nonne zugunsten der Mutter Kirche auf seinen Besitz verzichtet. Wo kämen wir auch hin, wenn wir die Reichen aus der Kirche herausekeln würden?

J.: Das klingt aber sehr nach dem Prinzip »Zuckerbrot und Peitsche«: einmal rigoros in den moralischen Anforderungen, dann wieder relativ lax in der Ausführung. Gehen weltliche Diktaturen bisweilen nicht auch so mit ihren Untertanen um? Aber nicht darum geht es mir jetzt primär. Darf ich mir vielmehr, Eminenz, noch einmal die ganz grundsätzliche Frage erlauben, ob es denn nicht doch falsch, unsittlich, unwahrhaftig, ja betrügerisch ist, wenn die Hierarchie der Kirche ihre gute Moral auf das Fundament der Lüge stellt, nämlich auf die von ihr gemachte und erfundene Botschaft vom Gottmenschen Jesus Christus?

K.: Mein Sohn, wenn das eine Lüge sein sollte, dann ist das eine Lüge höherer Natur, eine Lüge zum Heil der Menschheit. Wir haben für diese Lüge, ich sage lieber: für diese höhere Wahrheit unermesslich viele Mühen und Opfer aufgebracht, bis wir es erreicht hatten, dass diese Pyramide, dieser Prachtbau mit Gottvater an der Spitze, mit seinem Sohn Jesus Christus an der Übergangsstelle zwischen Zeit und Ewigkeit, Diesseits und Jenseits, Erde und Himmel, und mit dem Papst als sichtbarem Repräsentanten dieser metaphysischen Größen errichtet war. Tausende von Kirchentheologen modellierten in jedem Jahrhundert der Kirche an den kleinsten Details dieses Baus. Die Sache ist auch ästhetisch, architektonisch, nicht bloß ethisch eine absolute Meisterleistung, für die uns alle Menschen dankbar sein müssten. Stattdessen ernten wir immer wieder Undank und oft wird unser ganzes Werk als Erfindung einer machtbesessenen Priesterkaste hingestellt. Aber das stehen wir durch, wir tun es ja für das höhere Wohl der Menschheit.

J.: Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschheit oder genauer die Masse jener gläubigen Menschen, die die Sache noch nicht durchschaut haben, dankbar sein wird, wenn sie einmal erkennt, dass sie in Bezug auf die Person und den Charakter Jesu von der Kirche total irregeführt worden ist.

K.: Ach, die Masse!  Die Masse wird das doch nie durchschauen. Und Dich, der Du intelligent bist und das durchschaust, ermahne ich, die ganze Geschichte nicht gar so eng und kleinlich zu sehen. Sei doch froh, dass wir, die hierarchische Kirche, d.h. Päpste, Kardinäle und Bischöfe, Jesus so groß herausgebracht haben. Das ist nun mal der Gang der Geschichte: Aus Kleinem wird im Lauf der Zeit Großes! Und wenn etwas nicht von vornherein groß ist oder von allein groß wird, dann helfen wir eben nach. Das Volk braucht zur Stützung und Stabilisierung der Moral eine große Persönlichkeit aus der Geschichte als Vorbild, es will zu jemandem aufschauen. Und je weiter diese Persönlichkeit zeitmäßig zurückliegt, umso besser. Der Abstand der Geschichte bewirkt, dass man auch die faktische Kleinheit, die Fehler eines Charakters etc. nicht mehr so genau rekonstruieren kann.

J.: Ja, aber mich beunruhigt der Gedanke, dass die Hierarchen der Kirche das alles vielleicht gar nicht so sehr zum Ruhm und zur Erhöhung des Galiläers Jesus gemacht haben, sondern um über einen Faktor, eine Größe zu verfügen, die durch ihr Vorbild die Organisation Kirche in ihrer Macht und Ausbreitung stabilisiert und fördert.

K.: Nun, das kann Dir so erscheinen. Aber bedenke, mein Sohn: Moral kann man bei der Masse der Menschen nur durchsetzen, wenn man über eine große, imposante, Eindruck machende Organisation verfügt, die wiederum als eine Bedingung ihrer Effizienz einen großen Stifter nötig hat. Denk doch auch nur an die Fleischlichkeit des Massenmenschen, seine grobe und rohe Sexualität. Wie willst Du die vergeistigen, veredeln, wenn Du nicht mit einem Menschen in legendärer Vorzeit aufwarten kannst, der total, eben göttlich erhaben über alle Gelüste des Fleisches, über alle dunklen Triebe war, der dem Geist in uns Menschen zum Siege über die niedrige Natur verhelfen kann. Wir mussten also geradezu aus dem Jesus, den Zeitgenossen, wie die Evangelien berichten, als „Fresser und Säufer“ und als Frauenfreund beschimpften, einen sinnenfeindlichen Asketen machen, dem die böse Libido nichts anhaben konnte. Dadurch haben wir in unserer Morallehre die Priorität, die Herrschaft des Geistes über den Körper durch ein überragendes gottmenschliches Vorbild grundgelegt, wiewohl die ewig nörgelnden Kritiker aller Jahrhunderte uns auch dafür nicht dankbar waren. Haben sie uns doch deswegen Natur- und Leibfeindlichkeit vorgeworfen und zugleich spöttisch darauf hingewiesen, dass wir selbst uns an diese körperfeindliche Moral meist nicht gehalten haben. Aber das in der Sinnlichkeit versunkene Volk braucht eben den Glauben, dass es Einen gab, der sein Fleisch beherrschte. Es sündigt zwar trotzdem in sexueller Hinsicht noch und noch, aber indem es die Differenz, den Abstand zu diesem göttlich Reinen erfährt, ist es ja umso schuldbewusster und disponierter zum Gehorsam, zur Subordination gegenüber der Kirche.

J: Aber dann stecken ja doch wieder Machtinteressen hinter dem Ganzen. Die Hierarchen legen den Menschen Keuschheitsgebote auf, die kaum jemand halten kann, und stärken die Sanktionskraft dieser Gebote mit dem Hinweis auf einen superreinen Übermenschen, der einmal gelebt haben soll. Das alles tun sie, weil sie glauben, dass die Masse sich lieber von Leuten führen lässt, die als Beherrscher der Triebe, als Erhabene über das Irdische und die böse Fleischeslust gelten. Nur: Mir scheint, das imponiert heute den Leuten immer weniger, und immer weniger Menschen wollen das noch glauben. Die Menschen hassen vielmehr die Heuchelei, die keusche Fassade, hinter der das von den Kirchenfürsten erlassene Verbot umso ungestümer gebrochen wird, und zwar doch auch von Priestern aller Hierarchiestufen selbst. Kann denn Gott all das so gewollt haben, wie Ihr das arrangiert habt?

K.: Also, lieber junger Freund, komme mir in diesem Zusammenhang doch bitte nicht mit Gott. Unter uns gesagt, wo hat Gott denn jemals unzweideutig oder auch nur zweifelsfrei gesprochen? Aber wir Hierarchen, genauer: unsere Hoftheologen, haben ein imponierendes System der Offenbarung eines eindeutig sprechenden Gottes geschaffen. Das Volk braucht Eindeutiges, Autoritatives. Das liefern wir, indem wir sagen: Gott selbst, die höchste Autorität und Instanz, hat gesprochen und genau gesagt, was Er will und was die Menschen zu befolgen haben, wie wir das noch kürzlich im »Katechismus der katholischen Kirche« Punkt für Punkt ganz exakt fixiert haben. Nur so kann bei den Menschenmassen das moralische Chaos verhindert werden. Es ist grandios, was wir aus den vieldeutigen, zusammengewürfelten, unsystematischen, oft sogar unverständlichen Reden Jahwes und Jesu in der Bibel und auch aus den noch sehr einfältigen, theologisch nicht durchdachten Briefen der Apostel in mühsamer Arbeit gemacht haben. Deshalb sind wir Hierarchen trotz all unserer Fehler – die das Volk übrigens längst vergessen hat, die nur von einigen unbelehrbaren Kirchenkritikern notorisch wiederholt werden – die eigentliche moralische Autorität der Welt, der Fix- und Orientierungspunkt, an den sich die Menschen halten können und meistens auch halten wollen, denn wer will schon wirklich in Bezug auf die letzten Sinnfragen auf eigenen Beinen stehen und selbständig Antworten erarbeiten? Die Schafe und Esel unter den Menschen sterben noch lange nicht aus, und das garantiert unsere Herrschaft. Diesbezüglich hat der aufmüpfige Mönch Giordano Bruno, den wir aber unter anderem gerade wegen seiner »Eselshymne« auf die Kirche verbrennen mussten, ausnahmsweise mal nicht Unrecht.

J.: Ich weiß nicht, Eminenz, ob in dieser Hinsicht die Kirchenführer nicht einer Selbsttäuschung unterliegen. Das Ende der indoktrinierten und manipulierten »Schafe« und »Esel« ist doch schon in Sicht. Die Kirchenaustritte schlagen immer höhere Wellen. Viele Menschen gehen jetzt auch in religiöser und ethischer Hinsicht ihre eigenen Wege. Und das Volk, die Menschenmassen – die jubeln dem Papst zwar in einigen Ländern der Dritten Welt noch immer zu, wie sie jedem Guru, jedem vermeintlichen Heilbringer, jeder Sensation zujubeln, aber seine rigorosen moralischen Appelle befolgen sie deshalb noch längst nicht. Auch viele Priester laufen weg, heiraten bzw. gehen heterosexuelle oder homosexuelle Partnerschaften ein. Kürzlich hat mir einer von ihnen gesagt, dass es einen der lächerlichsten Witze der Weltgeschichte darstellt, aus der Lehre Jesu ein Zölibatsgesetz oder gar einen ganzen verschrobenen Moralkodex nach Art des neuen Katechismus abzuleiten.

K.: Mein Sohn, jetzt vergreifst Du dich aber ganz entschieden im Ton. Doch will ich das dem Ungestüm Deiner Jugend ankreiden, nicht Dir selbst. Aber zur Sache: Du hältst es für möglich, dass wir Hierarchen einer Selbsttäuschung unterliegen. Denk nicht, dass ich im Lauf meines langen Lebens mich das nicht auch selbst einige Male gefragt habe. Aber ich vermag letztlich einfach nicht zu glauben, dass dieses ganze Unternehmen Kirche mit all den ungeheuren Anstrengungen, eine erhabene Doktrin in dogmatischer wie moralischer Hinsicht zu schaffen, nicht auch ein Werk des Heiligen Geistes ist. Die Proklamierung der Unfehlbarkeit des Papstes ist ja nur die Konsequenz dieses Glaubens an die Wirksamkeit des HI. Geistes in all unseren Unternehmungen.

J.: Aber gerade dieses Unfehlbarkeitsdogma gab es doch in der Geschichte des Christentums bis ins 19. Jahrhundert überhaupt nicht. Ja, es wurde früher sogar von den Päpsten selbst strikt abgelehnt. Der erste Papst, dem man die päpstliche Unfehlbarkeit zusprechen wollte, bezeichnete sie empört als »Lehre des Teufels«. Es war Papst Johannes XXII., der in seiner Bulle »Quia quorundam« (1324) diejenigen als Irrlehrer und als inspiriert vom »Vater der Lügen« bezeichnet, die behaupten: »Was die römischen Oberhirten einmal mit dem Schlüssel des Wissens in Fragen des Glaubens und der Moral definiert haben, steht so unbeweglich, dass ein Nachfolger es nicht widerrufen darf.« Ja, dieser Papst behielt sich sogar ausdrücklich und prinzipiell das Recht vor, ein Ketzer zu sein, wiewohl er im gleichen Atemzug betonte, dass er nicht gedenke, dieses Recht auch auszuüben. Übrigens war Johannes XXII. nicht der einzige Papst, der die eigene Unfehlbarkeit leugnete. Erst im 16. Jahrhundert begann die päpstliche Unfehlbarkeit an Boden zu gewinnen, und erst im 19. Jahrhundert wurde sie bekanntlich zum Dogma erhoben. Und bedenken Sie auch, Eminenz, wie viele Päpste machtversessene Opportunisten dem Staat gegenüber waren. Sie sind den römischen Kaisern, solange diese noch mächtig waren, in den Hintern gekrochen, wofür sie ja auch von ihnen reichlich mit Privilegien bedacht wurden. Kein Wunder also, dass sie zunächst und für lange Zeit nicht sich selbst, sondern dem römischen Kaiser die Unfehlbarkeit zugeschrieben haben. Im Jahre 457 erklärt Papst Leo der Große in Bezug auf den Kaiser: »Durch die Macht des Heiligen Geistes braucht er keine menschliche Unterweisung und kann sich in der Lehre nicht irren.« Jeder Katholik, der diesen Satz liest, würde ihn auf die Päpste beziehen. Die Wahrheit aber ist: Er bezieht sich auf die Unfehlbarkeit des Kaisers. Mir scheint überhaupt, dass Unfehlbarkeit eine göttliche Eigenschaft ist, die sich kein Mensch zuschreiben sollte. Vielleicht wird Gott beim letzten Gericht die Päpste an diesem Maßstab besonders scharf messen.

K.: Nun, ich bin kein Papst. Aber ich kann mir gut vorstellen, wie sich die Päpste vor Gott und Jesus beim letzten Gericht verteidigen könnten. Sie werden in etwa zu Jesus sagen: „Du und Deine Jüngerschar: Ihr wart doch regelrechte Stümper und Versager. Ihr habt doch nicht einmal eine richtige Kirche zustande gebracht, wart vom Irrtum des nahen Gottesreiches so erfüllt, dass Ihr und Euer Werk, wenn man denn schon von einem solchen reden könnte, ohne uns Päpste längst in den Nebelschwaden der Geschichte untergegangen wärt, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Schaut dagegen auf jene herrlich durchorganisierte Institution, die man römisch-katholische Kirche nennt und die vornehmlich das Werk von uns Päpsten und unseren Dienern ist. Da müsst Ihr doch vor Neid erblassen! Diese perfekten Kontrollmechanismen der Rechtgläubigkeit und der Orthopraxie, der richtigen Sittlichkeit und Moral: der ganze Vatikan als die heilige Chefetage der Religion, die Kurie, ihre Ministerien, sprich: Kongregationen, die Nuntiaturen in fast allen Staaten, die Glaubenskongregation, also das früher so gut arbeitende Inquisitionsbüro oder Heilige Offizium – all das muss Euch doch zeigen, dass keine Religion so gut organisiert ist wie die christliche in Gestalt der römisch-katholischen Kirche. Und dieser Organisation verdankt Ihr, dass Ihr im Gedächtnis der Menschen überhaupt noch weiterlebt. Sonst wär‘ die Spur von Euren Erdentagen längst verweht! Also nicht so sehr wir Euch, Ihr schuldet uns höchste und tiefste Dankbarkeit.“

J.: Sie, Eminenz, loben so überschwänglich die kirchliche Organisation, ihre Macht und Kontrollfunktion. Aber bleibt da nicht die Freiheit eines Christenmenschen auf der Strecke? Fällt sie nicht der von Euch so bewunderten und gepriesenen Kontrollfunktion des Glaubens und der Moral zum Opfer? Jetzt verstehe ich auch die sich daraus ergebende Konsequenz, nämlich dass Ihr das Zölibatsgesetz für Priester gar nicht aufheben könnt, weil Ihr ein ganzes Heer dienstbarer Eunuchen benötigt, die die von Euch errichteten Kontrollmechanismen bedienen und betätigen müssen, die die universale Kontrolle der Gläubigen auch tatsächlich ausüben. Dafür eignet sich der zölibatäre Priester ja besonders, weil er erpressbar ist, weil er das Zölibatsgesetz nicht halten kann und deshalb gegenüber Euch, gegenüber der Kirche sich schuldig fühlt. Er muss durch besonderen Eifer für die Kirche und besonders schmiegsame Anpassung an die kirchlichen Vorgesetzten seine Verfehlungen im sexuellen Bereich kompensieren, ja überkompensieren. Er ist Euer Produkt, das Resultat jener Schizophrenie, die darin besteht, dass er sich in seinem Innern schuldig fühlen muss, obwohl er vor dem gläubigen Volk den Unschuldigen zu spielen hat. Ein Theater, eine Komödie, aber wahrhaft keine göttliche!

K.: Der Idealismus in der Auffassung von der Freiheit, den Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen hat doch schon einmal zur Katastrophe geführt – damals im Jahr 30, 35 oder 37 unserer Zeitrechnung, als Jesus gekreuzigt wurde und die Jünger in alle Richtungen auseinanderliefen. Die Geschichte selbst hat also die Richtigkeit unserer Konzeption des Menschenbildes erwiesen, vor allem dies, dass der Mensch ein Zwangskorsett braucht, um nicht zügellos zu werden. Die Konzeption Jesu, will man schon von einer solchen sprechen, hat ein paar Jahre gehalten, unsere schon fast zwei Jahrtausende! Aber schließlich und endlich: Wer später lebt, hat immer recht! Und zwar deswegen, weil er die, die vorher waren, nach seinem Gutdünken interpretieren kann, ohne dass die Toten sich noch wehren könnten. Die Geschichte selbst, die wir machtvoll nach unserem Gutdünken deuten, gibt uns Recht. Selbst wenn Jesus anderer Meinung sein sollte als wir, es nützt nichts mehr. Die Menschen kennen ihn fast nur noch in seiner kirchlich, d.h. von uns präparierten Gestalt, in der er uns allerdings zugegebenermaßen recht nützlich ist. Ich gebe zu: Es könnte jetzt bei Dir der Eindruck entstanden sein, dass wir Herren der Kirche das alles, was mit Jesus und seiner Umgestaltung, Erhöhung und Vergöttlichung zusammenhängt, so einfach aus uns heraus getan hätten, wenn auch nicht mit einem Mal, sondern in einem langen geschichtlichen Prozess. Aber ich betone nochmals: Wir, wenigstens die Mehrheit von uns, glauben, dass wir auch metaphysisch zu diesem Tun berufen wurden, dass wir von der Transzendenz, von Gott selbst, dazu legitimiert sind, weil der ja ein Interesse daran haben muss, dass das Menschengeschlecht moralisch ge- und verbessert wird. Wie soll denn dies anders als auf unsere Weise geschehen? Es ist die einzige unfehlbare Methode, für die Menschheit ein übermenschliches ethisches Ideal, nämlich eben Jesus zu konstruieren, ihr dieses Ideal als unfehlbare dogmatische Wahrheit verbindlich aufzuerlegen, um sie dadurch zu versittlichen. Wenn die Menschen zweifeln, dann können Sie keinen Mut, keine Festigkeit in ihrem sittlichen Handeln haben. Deswegen muss auch unser oberster Herr auf Erden, der Papst, unfehlbar sein und seine wichtigsten moralischen Dekrete unfehlbar, irrtumsfrei verordnen. Wir, d.h. wenigstens die meisten unter uns Bischöfen und Kardinälen glauben, dass diese Unfehlbarkeit nicht bloß eine innere Notwendigkeit unseres Systems ist, sondern irgendwie auch von Gott selbst gewollt wird, der ja, wie gesagt, die Menschheit versittlichen will.

*

Dem Assistenten des Kardinals gefiel dessen Argumentation ganz und gar nicht. Zwar verstand er durchaus, was dieser meinte, zwar billigte er dem Kardinal auch zu, dass der subjektiv überzeugt war, einer guten Sache zu dienen und ihr zum Sieg verhelfen zu wollen. Aber die Sache selbst roch ihm, objektiv betrachtet, zu sehr nach dem Prinzip: »Der gute Zweck heiligt alle Mittel«. Der junge Priester hatte eben noch eine ganz andere Auffassung von der Wahrheit. In seinem Theologiestudium hatte er Wahrheit als »adaequatio intellectus et rel«, als Übereinstimmung des Verstandes mit der vorgegebenen, vom Menschen nicht konstruierten und nicht herzustellenden Wirklichkeit definiert bekommen und diese Definition von Wahrheit hatte er auch auf die geschichtliche Wirklichkeit übertragen. Das heißt, er war überzeugt, dass Geschichtsforschung, auch die Erforschung der Anfänge des Christentums, legitimierterweise einzig und allein darin zu bestehen habe, zu erkennen, zu entdecken, wie es wirklich gewesen war, keineswegs aber darin, diese Anfänge so darzustellen, so zu konstruieren, so zu verfälschen, dass sie dem Image, den gegenwärtigen Zielen und Absichten der Kirche und ihrer Führer dienen und nützlich sein konnten, auch wenn dadurch evtl. die Moral der Masse gehoben werden sollte. Nein, dieser pragmatische Wahrheitsbegriff seines Kardinals und offenbar doch auch zahlreicher anderer Kirchenfürsten verstieß nicht nur gegen das, was der junge Mann in seinem Studium gelernt hatte, sondern auch gegen sein ganz elementares, ganz natürliches und spontanes Wahrheitsempfinden, gegen seine Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Und er war überzeugt, dass auch die einfachen Leute, das Kirchenvolk in seiner ganz überwiegenden Mehrheit so dachten.

Der junge Mann hatte aber auch im Lauf des Gesprächs längst erkannt, dass es völlig unmöglich sein musste, den alten Herrn von dessen Vision der Wahrheit abzubringen. Das wäre vergebliche Liebesmüh gewesen. Der ganze Lebenssinn des Kardinals war ja mit dieser Wahrheitsauffassung verknüpft. Er war überzeugt, den Menschen zu dienen, wenn er die Wahrheit so herrichtete, so konstruierte, dass sie Jesus und die Kirche größer erscheinen ließ, als diese es tatsächlich waren. So verbogen und verkrümmt war das Denken dieses Kirchenfürsten im Laufe seines Lebens geworden, dass es an den Tatsachen gar nicht mehr interessiert war, diese Tatsachen ihm höchstens noch als Rohmaterial dienten, an dem er so lange herummanipulieren konnte, bis sie die Form, die Gestalt angenommen hatten, die ihm im Interesse der Kirche und deren Moral nützlich erschien.

Aber obwohl dem jungen Priester eine weitere Diskussion eigentlich zwecklos erschien und er auch bereits ahnte, was der Kardinal in etwa antworten würde, fragte er ihn, mutiger geworden, dennoch nach dem Sinn des Zölibats, der Ehelosigkeit der römisch-katholischen Priester, wobei er, um von sich und seinen eigenen diesbezüglichen Problemen abzulenken, darauf verwies, dass doch so viele Priester ihr Amt aufgeben, weil sie das Zölibatsgesetz der Kirche nicht einzuhalten vermögen.

Im Folgenden also die Antwort des Kardinals und die Fortsetzung des Gesprächs zwischen ihm und seinem Assistenten:

K.: Das Zölibatsgesetz der Kirche ist doch im Rahmen der hier von uns diskutierten Problematik eine fast ganz unwichtige Randerscheinung,   beinahe eine Bagatelle. Die Kirche hat doch gerade heute ganz andere, viel gravierendere Probleme.

J.: Nun immerhin, es handelt sich doch um Hundertausende von Priestern, die zu diesem Gesetz verpflichtet werden und es meistenteils als schwere Last empfinden.        

K.: Mein lieber junger Freund, Du hast offenbar den eigentlichen Sinn, die eigentliche Stoßrichtung meiner Argumentation immer noch nicht verstanden. Du musst doch immer zwischen dem subjektiven Empfinden der einzelnen Individuen in der Kirche und der übergeordneten Sicht der hierarchischen Kirche selbst unterscheiden. Subjektiv mag es für viele Priester sehr schwer sein, das Zölibatsgesetz einzuhalten. Objektiv, d.h. aus der übergeordneten Sicht der Amtskirche, ist der Zölibat überhauptkein Problem. Der Priester, der dieses Gesetz übertritt, soll zur Beichte gehen und damit hat sich sein Problem doch erledigt. Und wenn er wieder sündigt, soll er eben wieder zur Beichte gehen. Das vertieft einerseits sein Schuldbewusstsein und anderseits vergrößert es seine Dankbarkeit gegenüber der gütigen Mutter Kirche, die ihm unaufhörlich vergibt. Das ist also überhaupt kein Problem. Aber die übergeordnete Sicht der Kirche verlangt, dass das Zölibatsgesetz aufrechterhalten wird, unter anderem deswegen, weil wir uns verheiratete Priester mit allen aus der Ehe sich ergebenden Komplikationen, auch den damit gegebenen finanziellen Belastungen , einfach nicht aufhalsen wollen. Außerdem ist es für die Moral des Kirchenvolkes wichtig, zu glauben, dass der Seelsorger ganz ungeteilt, einzig und allein für es da ist.

J.: Aber ist das nicht gerade Doppelmoral und Heuchelei? Den Gläubigen wird vorgegaukelt, dass der Priester ein engeigleiches, nur für seine Gemeinde sorgendes Wesen ist, während doch die Verant-wortlichen in der Kirche insgeheim ganz genau wissen, dass ein großer Prozentsatz von Priestern sexuelle Kontakte zu Frauen unterhält, Kontakte, die diese Priester gar nicht in die andererseits von der Kirche doch wärmstens befürwortete und vermeintlich vergeistigende eheliche Gemeinschaft umwandeln können, weil ihnen die Heirat verboten wird.

K.: Mit Doppelmoral und Heuchelei hat das nichts zu tun, auch wenn es, oberflächlich betrachtet, danach aussehen mag. Denkst Du, die Kirche kennt nicht die menschliche Natur? Sie kennt sie besser als jeder andere. Für diese menschliche Natur kann die Kirche nichts. Sie findet sie vor, und sie muss, so wie diese Natur in ihrer ganzen Erbärmlichkeit und Schwachheit nun einmal ist, mit ihr recht und schlecht umgehen. Wenn hier einen eine Schuld trifft, auf den dann also auch der Vorwurf der Heuchelei letztlich zurückschlüge, dann wäre das Gott selbst, der aus irgendeinem, für uns nicht einsichtigen Grund auf den keineswegs idealen Einfall kam, den Menschen nicht als Menschen, nicht einfach als Mann, sondern als zweigeschlechtliches Wesen zu erschaffen, so dass der Mensch uns stets als Mann oder als Frau entgegentritt. Daraus resultieren doch so überaus viele Komplikationen und Leiden zwischen den bzw. der Menschen. Aber ich will mir keineswegs erlauben, hier blasphemisch zu sein und dem Schöpfer deswegen Vorwürfe zu machen. Nur ist festzuhalten, dass wir uns mit dieser gottgewollten Mann-Frau-Struktur des Menschen abzufinden und sie als Amtskirche in die entsprechenden Kanäle zu leiten haben. Dem Priester haben wir daher im Rahmen dieser Struktur die Funktion zugewiesen, diese ganze Schweinerei von Mann-und Frau-Kontakten zu veredeln, zu vergeistigen. Das heißt: Der Priester, ob er nun persönlich mit einer Frau sündigt oder nicht, soll in der Öffentlichkeit als leuchtendes Symbol dastehen für die Möglichkeit des Sieges über das Fleisch, des Triumphes über die geile Körperlust. Wenn damit Heuchelei verbunden ist, nun denn, dann ist sie eine unangenehme, aber leider notwendige Begleiterscheinung einer in sich guten Sache. Wir verbessern sozusagen Gottes Schöpfung!

J: Ist das denn nicht aber die größte Blasphemie, die schlimmste Gotteslästerung, zu behaupten, man könne Gottes Schöpfung verbessern? Lehrt die Kirche nicht unentwegt und unfehlbar, dass Gott die unendliche, unüberbietbare Vollkommenheit ist und eine ursprünglich überaus gute Schöpfung ins Leben gerufen hat, die die Menschen nur verschlechtern, nicht aber verbessern können? Es kann ja meines Erachtens auch gar nicht anders sein. Wenn Gott, wie unsere Kirche lehrt, der unendlich Gute und Vollkommene ist, dann kam er nur Gutes und Vollkommenes in die Welt setzen.

K.: Das klingt zwar sehr gut und überzeugend, mein junger Freund. Aber Du übersiehst hier schon wieder die unabdingbare, unentbehrliche Funktion der Amtskirche. Das, was Du gerade eben so vortrefflich über Gott, seine Vollkommenheit und die Vollkommenheit seiner Schöpfung gesagt hast, das ist nur deshalb so, weil das die Kirche so perfekt zurechtgezimmert und zum Dogma erhoben hat. Gott mag ja tatsächlich in sich unendlich vollkommen sein, aber offenbart, geäußert gegenüber der Welt und den Menschen hat er sich doch immer nur sehr unvollkommen, um nicht zu sagen stümperhaft. Schau Dir doch das eigentliche Buch seiner Offenbarungen, die Bibel, an. Wie erscheinen Er und sein Wort in diesem Buch? Alles andere als eindeutig, klar, geradlinig und vollkommen! Er gebärdet sich launisch, stimmungsabhängig, wutschnaubend, ungerecht, mitunter grausam, gebietet die Vernichtung ganzer Völker mitsamt Frauen und Kindern, lässt fast die ganze Menschheit in der Sintflut untergehen, erbarmt sich, wessen er sich erbarmen will und vernichtet, wen er vernichten will, und zwar ohne jede Rücksicht auf die guten oder bösen Taten des Betreffenden, weil Er das als Schwächung und Antastung seiner von nichts abhängigen Souveränität und Allmacht ansieht.

Merkst Du, mein Sohn, warum es also der Kirche so notwendig bedarf? Päpste, Bischöfe und unsere Hoftheologen haben aus diesem Chaos widersprüchlicher Aussagen der Bibel ein wunderbares, einheitliches, widerspruchsloses System der Offenbarung eines unüberbietbar – auch ethisch – vollkommenen und nunmehr eindeutig zur Menschheit sprechenden Gottes gemacht.

Erst eigentlich durch uns Kirchenfürsten wird Gott das, was er sein soll: Der unendlich Vollkommene und als solcher die höchste Autorität und moralische Instanz, die zu uns gesprochen und genau gesagt hat, was Er will und was die Menschen zu befolgen haben.

J.: Seien Sie mir bitte nicht böse, Eminenz, aber mir drängen sich dabei doch ein paar ganz schwerwiegende Fragen auf: Setzt sich die Amtskirche auf diese Weise nicht über Gott, nicht höher als Gott? Woher weiß sie denn, dass Gott sie zu dieser Art Verbesserung des Gottesbildes und der biblischen Aussagen über ihn ermächtigt hat? Glauben Sie, Eminenz, überhaupt an die Existenz Gottes? Denn mir kommt es doch fast so vor, als ob Gott in der von Ihnen vorgetragenen Konzeption ein ziemlich hilfloses, passives X ist, mit dem die Kirche nach Belieben verfährt, aus dem sie macht, was ihr nützlich erscheint.

K.: Mein lieber Sohn, ich bin alt und stehe an der Schwelle des Grabes. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich bereits in diesen Fragen das Wirken des Dein Gehirn vernebelnden und verbosenden Teufels gesehen und Dir erbarmungslos jeden Aufstieg auf der kirchlichen Karriereleiter verbaut. Aber ich kenne Dich ja und weiß, dass Du nicht aus Bosheit derartige Fragen stellst. Also zu Deiner letzten Frage, ob ich an Gott glaube. Siehst Du, letztendlich spielt das gar keine Rolle. Denn ob er ist oder nicht ist – er schweigt, und die Arbeit müssen wir so oder so selber machen. Sie fällt uns so oder so zu. Also fühlen wir uns ermächtigt, das grandios-imposante Gebäude der Lehre von einem unendlich vollkommenen Gott und seiner autoritativ-souveränen sittlichen Gesetzgebung aufzurichten. Wenn Du fragst, ob sich die Amtskirche auf diese Weise nicht über Gott, nicht höher als Gott selbst setze, muss ich demgemäß antworten:

Sei’s drum. Wenn Gott nicht existiert, kann er durch unser vermeintliches Sich-höher-Setzen gar nicht beleidigt werden. Wenn Er aber existiert, dann scheint Er nichts dagegen zu haben, jedenfalls tut er nichts dagegen. Also dürfen wir Herren der Kirche annehmen, dass er es billigt, weil wir es ja um der sittlichen Veredelung der Menschheit willen tun. Natürlich können wir dem Volk nicht sagen, dass wir keinen direkten, ausdrücklichen Auftrag von Gott für unsere Art von Vorgehen erhalten haben, ja dass wir nicht einmal wissen, ob Er existiert. Denn auf diese Weise entzögen wir ja unseren ganzen moralischen Bestrebungen die Basis. Du siehst aber, es ist alles sehr logisch und konsequent in unserer Sicht der letzten Dinge, die für die Menschheit so wichtig sind. Angesichts der Unerkennbarkeit Gottes, der Unmöglichkeit, definitiv zu entscheiden, ob er nun existiert oder nicht existiert, ist unsere Konzeption einer Moral für die gesamte Menschheit unter der Regie der Kirche das Beste und Konsequenteste, was in diesem Falle überhaupt geschehen kann. Sollte man diese Konzeption als Betrug ansehen, ist es jedenfalls ein Betrug zum Wohle aller Menschen. Aber ich glaube ziemlich fest daran, dass es kein Betrug ist, sondern Unser Tun, das Tun der kirchlichen Hierarchie, unsichtbar vom Plan der göttlichen Vorsehung geleitet wird, um die Menschheit zum Besseren hinzuführen. Von außen betrachtet, ist es nur Unser Tun, insgeheim aber leitet uns ein Heiliger Geist!

J.: Eminenz, ich sehe ja, dass Sie die Strategie der Kirche, die Sie hier so überzeugend dargelegt haben, geradezu mit heiligem Stolz erfüllt. Aber ich fürchte, dass man Ihre Sicht der Dinge weder dem Kirchenvolk noch dem niederen Klerus, den Pfarrern und Kaplänen, wird vermitteln können. Der ist doch im Theologiestudium belehrt worden, dass die Kirche, das kirchliche Lehramt nur Dienerin und Hüterin der Wahrheit, der durch den wirklich existierenden Gott ergangenen Offenbarung ist, dass es also die vorgegebene Wahrheit nur demütig empfängt, aber nicht konstruiert und herstellt. Das Konzept aber, das Sie hier – zugegeben, sehr logisch und scharfsinnig – vorgetragen haben, scheint mir doch eher einer »Als-ob-Theologie« zu gleichen. Das heißt: Es wird vor den Menschen, vor dem niederen Klerus lediglich so getan, als ob Gott existierte, als ob Er einen Sohn hätte, der Mensch geworden sei, und das alles wird nur deshalb so verkündet, um die Basis für die Herrschaft der Kirche und ihre Gesetzgebung zu legen, der sich alle in absolutem Gehorsam zu unterwerfen haben, weil das ja vermeintlich von Gott so gewollt und befohlen worden sei. Man braucht diesen Gott als absolute höchste Instanz, um absoluten Gehorsam einfordern zu können. Also behauptet man flugs als Dogma die Existenz dieses Gottes. Aber nur der höhere Klerus weiß insgeheim, dass es diesen Gott gar nicht gibt bzw. dass keinerlei Beweise für seine Existenz angebbar sind.

K.: Nun, mein Sohn, die Wahrheit ist eben ein langwieriger Prozess. Man kann auch kleinen Kindern nicht gleich all das sagen, was sie erst im Laufe eines lebenslangen Lernprozesses erfahren sollen. Höchste Wahrheiten und Klarheiten sind sodann auch in anderen, nichtreligiösen Bereichen, im politischen, ökonomischen, militärischen, im Bankwesen usw. nur ganz kleinen Eliten vorbehalten. Diese Eliten sind auch zur Geheimhaltung ihres Wissens verpflichtet. Es gibt eben Stufen der Wahrheit, eine Hierarchie der Wahrheiten, nicht bloß der Ämter, und das nicht nur in der Kirche. Die Wahrheit ist nichts Demokratisches, dem ganzen Volk Zugängliches. Selbst die modernen westlichen Demokratien machen da keine Ausnahmen. Sie tabuisieren sehr viele Dinge und halten es nicht für opportun, dem Volk reinen Wein einzuschenken. Die Kirche ist da sogar wahrhaftiger, weil sie von vornherein betont, keine Demokratie, sondern eine von Gott gestiftete Theo- und Papokratie zu sein.

Es ist aber auch gar nicht ausgemacht, dass die zum niederen Klerus Gehörigen immer von der höheren Wahrheit ausgesperrt bleiben. Wenn ein Pfarrer oder Kaplan sich hochdient, seine absolute Linientreue immer wieder unter Beweis stellt, steht ihm doch nichts im Wege, immer höhere Stufen der kirchlichen Karriereleiter zu erklimmen. Dann bekommt er ja auch als Bischof, Erzbischof oder Kardinal Zugang zu Unserem, ihm bisher verschlossen gebliebenen Wahrheitskonzept. Dann kann er auch richtig mit dieser zunächst ungewohnten höheren Wahrheit umgehen, kann sie richtig bewerten, einordnen, einstufen. Wenn er allerdings dennoch bei der niederen Wahrheitsstufe trotz seines jetzt höheren Ranges bleiben, partout die Richtigkeit unserer höheren Wahrheit und Wahrheitsstrategie nicht einsehen will, dann verfügen wir über ausreichend viele Methoden, um ihn unschädlich zu machen. Und Du siehst doch, es klappt im Allgemeinen vorzüglich. Noch nie hat ein abgesetzer oder sich in den Ruhestand zurückziehender Bischof bzw. Kardinal Unser Wahrheitskonzept verraten. Einige haben es im Lauf der Kirchengeschichte zwar versucht, aber die haben wir ganz schnell in der Öffentlichkeit als Menschen diskreditiert, die aus Ressentiment, aus Beleidigtheit und Enttäuschung über ihren Karriereknick Dinge behaupten, die die heilige Mutter Kirche nie tun oder lehren würde. Wir sind stolz darauf, vor der Öffentlichkeit viel glaubwürdiger dazustehen als alle Ketzer, Sektierer und Dissidenten zusammen genommen, als alle jene, die Differenzen mit der Kirche haben.

*

An dieser Stelle endet im Grunde das Gespräch zwischen dem Kardinal und seinem Assistenten. Denn in dessen Gehirnkasten hatten die Alarmglocken unüberhörbar geläutet, als der Kardinal vom Unschädlichmachen der Gegner seiner höheren Wahrheit gesprochen hatte. Da wurde es dem jungen Priester endgültig klar, dass auch die Altersweisheit dieses Kirchenfürsten ihn nicht daran hindern würde, gegen seinen Assistenten vorzugehen, wenn dieser sich weiterhin gegen die „höhere“ Wahrheit sperren sollte. Obwohl der junge Mann von der Tugend der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit an sich sehr viel hielt, hatte er es doch mit der Angst zu tun bekommen. Deshalb beendete er das Gespräch mit dem jetzt auch müde und erschöpft wirkenden Kardinal mit einer Lüge, mit der Bemerkung nämlich, dass er dessen kirchliches Wahrheits- und Strategiekonzept sehr plausibel und überzeugend, ja als das einzig Richtige empfinde. Der Kardinal nahm es als bare Münze, weil er sich immer schon für einen Meister in der Kunst der Darstellung und Suggerierung schwieriger Sachverhalte gehalten hatte. Er prophezeite seinem Kaplan sogar eine große Kirchenkarriere in der Zukunft, da er doch nun diese erste schwere Hürde genommen habe und somit sozusagen zum inneren Kreis der Elitären in der Amtskirche gehöre, obwohl er doch noch gar kein Kirchenfürst sei. Aber das werde noch kommen, er, der Kardinal, werde ihn weiterempfehlen.

In Wirklichkeit war in dem jungen Priester eine ganze (Glaubens-)Welt zusammengebrochen, und er musste seine ganze Kraft aufbieten, um sich vor dem Kardinal so zu verstellen, dass der nicht erriet, was in ihm vorging. Er hatte den Eindruck, dass alle Ideale, die er bisher so hochgehalten hatte, durch die Rede des Kardinals beschmutzt und erniedrigt worden seien. Seine ganze geistige Grundhaltung war wie weggeschwemmt. Sogar die junge Nonne, seine Geliebte, mit der er sich ein paar Stunden nach dem Gespräch mit dem Kardinal wieder heimlich traf, bekam das beim Beischlaf zu spüren. „So fleischlich, so total körperlich und unpersönlich hast Du mir aber noch nie beigewohnt“, äußerte sie vorwurfsvoll. „Heute hast Du mich wirklich nur zum Abreagieren gebraucht. Was ist Dir denn über die Leber gelaufen?“ Eine Weile überlegte der Priester, ob er sie in sein Geheimnis einweihen sollte, dann legte er los und schilderte ihr rückhaltlos das Gespräch mit dem Kardinal.

Die kleine Nonne, in die unser Priester so verliebt war, war noch viel naiver und gutgläubiger als er. Sie hatte ja kein Theologiestudium wie er absolviert, ihr Glaube bewegte sich auf Katechismusniveau. „Also ich halte es für ganz unmöglich, dass alle Kirchenfürsten so denken wie unser Kardinal“, erklärte sie entschieden, nachdem der Priester seine Schilderung beendet hatte. „Vielleicht“, gab sie zu bedenken, „ist ja dieser Kardinal gar nicht so weise und gut, wie er uns bisher erschienen ist. Vielleicht ist er verbittert, enttäuscht über so Manches, das in seinem Leben schiefgelaufen ist. Z.B. über die Intrigen seiner Amtsbrüder, die ihm damals, als er einer der aussichtsreichsten Papstkandidaten war, so viele Steine in den Weg legten, dass er von sich aus, noch vor dem Eintritt in das Konklave, vor der Presse erklärte, er stehe auf keinen Fall für das höchste Amt in der Kirche zur Verfügung. So etwas wirkt sich doch auch auf die Lebensanschauungen eines Menschen aus.“

„Du hast recht“, urteilte jetzt auch der junge Priester, „es wäre ungerecht, aus einem einzigen Gespräch mit einem einzigen Kardinal zu weitreichende Schlüsse zu ziehen. Momentan ist zwar glaubensmäßig alles in mir wie erstorben, aber für ein endgültiges Urteil über diese ganze Geschichte ist es zu früh. Ich werde erst noch bei anderen Kirchenfürsten herumhorchen, wie sie die Sache sehen.“ Dazu sollte er sehr bald Gelegenheit bekommen, denn der Kardinal, dem er bisher zugeteilt war und mit dem er jenes tiefschürfende Gespräch geführt hatte, starb ein paar Wochen später, hatte aber Wort gehalten und seinen Assistenten einigen Kurienkardinälen wärmstens für eine Kirchenkarriere empfohlen.

So wurde Jakob nacheinander Mitarbeiter, Sekretär, Referent etc. in diversen Vatikanischen Sekretariaten, Kommissionen, Kongregationen und lernte auf diese Weise die Macht- und Herrschaftsmechanismen in der römischen Weltzentrale des Katholizismus immer intimer kennen. Er kam mit vielen hohen kirchlichen Würdenträgern in und außerhalb der Kurie in Kontakt und musste immer wieder feststellen, dass die meisten von ihnen pure Machtmenschen und Ehrgeizlinge waren, die nur an ihren eigenen Aufstieg auf den Stufenleitern der kirchlichen Hierarchie dachten, dabei jedoch klugerweise ständig das Wohl der Mutter Kirche im Munde führten. Zwar kam es mit diesen Herren nie mehr zu einem so langen und aufschlussreichen Gespräch wie mit dem inzwischen verstorbenen Kardinal, zwar erläuterte unserem Priester keiner von ihnen so offen und entlarvend die Wahrheitsstrategie der Kirche, in der Gott und sein Christus nur als illusionäre metaphysische Stützen für die Stabilisierung des Papsttums und der Hierarchie herhalten müssen. Aber Jakob erkannte doch stets von neuem, dass im Leben, in der tagtäglichen Praxis dieser Herren Gott nicht die geringste existentielle Rolle spielte, dass sie zwar mehr oder weniger intensiv für die Interessen der Kirche eintraten, weil dies auch ihren eigenen Karriereinteressen entsprach, dass sie jedoch in Bezug auf das Gottesproblem gleichgültige Agnostiker oder praktische Atheisten waren.

Jakob konnte zuhören, konnte schweigen, war diskret, und er hatte gelernt, stets die Form zu wahren und keine Gefühle, zumindest keine überschwänglichen, zu zeigen. So erschien er seinen Gönnern und Förderern in der Römischen Kurie für die Übernahme höherer Funktionen bestens geeignet. Aber seinen unbedingten Gehorsam wollte man vorher doch noch testen. So schickte man ihn mit verschiedenen schwierigen, teilweise ihm auch sinnlos erscheinenden Missionen in Entwicklungsländer, nach Afrika, Südamerika usw. Jakob nahm alle diese Aufträge bereitwillig an, nicht weil er Karriere machen wollte, sondern weil er den in ihm immer stärker reifenden Entschluss, der Kirche den Rücken zu kehren, auf eine möglichst breite Basis eigener Informiertheit zu stellen gedachte. Er galt als äußerst vertrauenswürdig, und so erhielt er Zugang zu vielen Generalvikariaten und erzbischöflichen Palästen dieser Länder. Was er dabei an engsten Kontakten hoher kirchlicher Würdenträger mit Diktaturen, Militärjuntas, Mafia-Bossen, Spionagediensten, Drogenschmugglern etc. entdeckte, demonstrierte ihm unwiderlegbar, dass Gott, egal, ob die Herren der Kirche nun an ihn glauben oder nicht glauben, keinen von ihnen daran hindert, die dunkelsten und dreckigsten Geschäfte dieser Welt zu machen. Gott als höchste Instanz und stärkste Stütze der Moral – das verkünden sie zwar großspurig, sagte sich Jakob, aber ihre ganze Praxis beweist, dass sie selber daran nicht im Mindesten glauben.

Derart empört war Jakob über all das, dass er umfangreiche Dossiers anfertigte, in denen er minutiös beschrieb und belegte, was er entdeckt und aufgedeckt hatte. Sein Enthüllungsmaterial versandte er an einige prominente Kirchenkritiker, versehen mit dem Zusatz, dass sie sich auf noch brisanteres Material gefasst machen sollen. Dazu kam es aber nicht mehr. Im Schnellzug Genf-Paris fand man ihn tot auf. Die näheren Umstände seines plötzlichen Todes wurden nie geklärt. Seine Geliebte, die junge Nonne, von der oben die Rede war, sagte mir unter Tränen und in grenzenloser Verzweiflung: „Sie haben ihn umgebracht. Er wusste zuviel!“

Sabotage im Maschinenraum der öffentlichen Meinung – ein Appell

Botticelli, “Die Verleumdung des Apelles” (ganz links: die nackte Wahrheit)

Lange Zeit hatten wir Hoffnung auf eine Wende und den Willen zur Wahrheit. Doch bei nüchternem Blick auf die etablierten Medien erscheinen diese kaum noch reformierbar. Peter Sloterdijk fasst das Handwerk heutiger Leitmedien-Journalisten in knappe Worte: „Die angestellten Meinungsäußerer werden für Sich-Gehen-Lassen bezahlt, und sie nehmen den Job an“ (siehe auch den lesenswerten Insiderbericht eines Schweizer Top-Journalisten auf swprs.org).

Nach 15 Jahren Arbeit für Radio, Magazine und Zeitungen wie die NZZ fordert Milosz Matuschek  nun auf, Journalismus ganz neu zu denken. Er wolle nicht einen besseren Journalismus, sondern eine Alternative zum Journalismus – eine „Wahrheitsmaschine“:

„Mir persönlich war der Journalismus als Ganzes nie peinlicher als jetzt. Selten war kritischer Journalismus notwendiger. Und selten hat eine Branche so ein Totalversagen hingelegt wie jetzt. Eine kritische Aufarbeitung des Corona-Desasters findet im Mainstream nicht statt. Der Prozess der Wahrheitsfindung wurde komplett lahm gelegt. Das ist nicht mehr nur Pfusch im Maschinenraum der Öffentlichen Meinung. Das ist Sabotage. Und die Verantwortlichen wissen das. Die Talkshows, um nur ein Beispiel zu nennen, wirken wie endlose Wiederholungen ihrer selbst, mit den immer gleichen Protagonisten. Man spielt das Spiel Amtskirche vs. Häretiker – allerdings ohne die Häretiker.
(…)

Ich denke es ist längst überfällig, an einem gänzlich neuen Modell des Journalismus zu bauen. Die technologischen Mittel sind da, an der Umsetzung fehlt es noch. Das Kernproblem des Journalismus von heute ist, dass er den Prozess der Wahrheitsfindung nicht ermöglicht. Er fungiert als Gatekeeper von Information und produziert – Platons Höhlengleichnis lässt grüßen – flackernde Schatten an der Wand, statt interesselose Realitätserforschung zu betreiben. Es ist ein bisschen wie Wrestling im Fernsehen: Viel Show, viel Tamtam, aber am Ende steht der Gewinner immer schon vorab fest. Unterhaltsam, aber im Kern eben Fake.

Es braucht deshalb meines Erachtens nicht nur mehr freie und unabhängige Portale, deren Kapital das Vertrauen der Leser ist. Es braucht auch eine gänzlich neue unzensierbare technologische Infrastruktur für diese Portale (egal ob Webseiten, Podcasts, Videokanäle), die den Prozess der Wahrheitsfindung sichert und Anreize dafür schafft, dass die beste Information es zum Leser schafft. Wahrheitsfindung sollte nicht in erster Linie Sache von Medienunternehmen mit politischen Haltungen und wirtschaftlichen Verpflichtungen gegenüber Werbekunden sein oder von zwangsgebührenfinanzierten Regierungskanälen; sie sollte als öffentliches Gut durch die Partizipation der Öffentlichkeit auf allen Stufen des Prozesses ermöglicht und gesichert werden. Jede Information von öffentlichem Interesse muss zugänglich, überprüfbar und unzensierbar sein.

Der Buchdruck und die Entstehung des Internets haben das freie Wort schon mal aus der Umklammerung der Mächtigen befreit. Aber jeder dieser Siege ist immer nur ein vorläufiger gewesen. Nun ist es Zeit für einen neuen Evolutionssprung. An ersten Ideen in diese Richtung arbeite ich bereits und stelle gerne in den nächsten Wochen einmal die Ergebnisse dieses Prozesses hier zur Diskussion. Die Frage, die mich leitet ist dabei folgende: Was wäre der beste Weg, um den Prozess der Wahrheitsfindung technologisch gestützt mustergültig abzubilden? Ich will nicht nur einen besseren Journalismus. Ich will eine Alternative zum Journalismus. Ich will eine Wahrheitsmaschine.“

>> zum Artikel: https://miloszmatuschek.substack.com/p/maschinenraum

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Die Kunst des Demonstrierens

So notwendig ein Aufbäumen gegen zunehmende Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung und Grundrechtssabbau heute auch erscheint. Vielfach ist jedoch zu erleben, dass die derzeitige Art des Protests die Verantwortlichen weitgehend unbeeindruckt lässt und auch unter den Bürgern für massive Spaltungen und Positionskämpfe sorgt.

Gibt es im Vergleich dazu eine nicht-polarsierende, verbindende und zukunftsweisende Art des zivilen Protests? Dazu ein jüngstes Interview auf BittelTV über die Einbeziehung der geistigen Dimension des Menschseins und der damit einhergehenden Möglichkeit, tragfähige Zukunftsbausteine zu schaffen.

https://youtu.be/Zfo29tGTMnA

zum Interview als MP3 (gekürzte Fassung)

siehe auch Artikel „Die Kunst des Demonstrierens“ (Heinz Grill)

Vermeidung von Impfschäden durch eigenständig-dynamisches Bewusstsein?

In der aktuellen Kontroverse über Nutzen und Gefahren der Corona-Impfung stellt der Heilpraktiker und Dozent für anthroposophische Medizin, Heinz Grill, eine ungewöhnliche Betrachtung an. Aus seiner Sicht führt  in der Impffrage weder eine passive Befürwortung noch eine konfrontative Ablehnung der Corona-Impfung zu einer wirklichen Verantwortlichkeit.

Obwohl der Autor mit der in verkürzter Zeit entwickelten und politisch-medial forcierten Corona-Impfung durchaus schwerwiegende  – sowohl physische als auch psychische – Folgewirkungen herankommen sieht, gibt er sich mit einer simplen PRO- oder CONTRA-Haltung nicht zufrieden. Um aus dem aktuellen Dilemma wieder herauszufinden, müsse der Mensch vielmehr eine gesunde Integrität als selbstbestimmtes Individuum wiederherstellen, die ihm im Zuge der Coronakrise verloren gegangen sei. Gemäß einer tieferen Betrachtung sei die gegenwärtige Krise sogar geradewegs ein Resultat des Integritätsverlusts der Menschheit. Als „Integritätsverlust“(*) wird hierbei ein Zustand verstanden, in welchem der Mensch weitgehend unreflektiert massenmedial geprägten Meinungen bzw. ökonomischen, politischen oder religiösen Suggestionen folgt und die Mühe eigenständiger Anschauungsbildung gegenüber den großen Zeitphänomenen scheut.

Die verlorene Integrität – erneuert – wiederzufinden, wäre zugleich der Weg zur Überwindung des zu eskalierenden drohenden Chaos. Findet der Mensch wieder zu einem ausreichend dynamischen, die Eigenverantwortung beanspruchenden Bewusstseinsleben im Sinne einer wirklichen Denk- und Gefühlserkraftung (im Gegensatz zu bloßem Informationskonsum, mit dem er bereits überfrachtet sei), dann sei er gegenüber den destruierenden Einflüssen der Zeit weitgehend geschützt. – Und dies nicht nur auf psychischer und immunologischer Ebene, auch seine Resilienz gegenüber äußeren pharmakologischen und medizinischen (Zwangs-)Maßnahmen werde dadurch bedeutsam gesteigert. Die hierbei zunächst als gewagt erscheinende Aussage lautet: „Die Entwicklung eines eigenständig dynamischen Bewusstseins kann Impfschäden vermeiden.“

Wie dies zu verstehen ist, wird im Artikel „Wie können Impfschäden durch Spiritualität verhindert werden?“ näher erörtert (unter dem angeführten Link findet sich auch ein aktuelles Videointerview zum Thema).


(*) zum Integritätsverlust [Auszug aus Artikel]:

„Die verschiedenen Meinungen, wie beispielsweise, dass die Coronakrankheit eine harmlose und gewöhnliche Grippeinfektion sei und sie im Gegensatz zu den postulierten Stellungen der Medien und Behörden steht, welche in Schlagzeilen von schwersten Verläufen und zahlreichen Todesopfern sprechen, ist für die spirituelle Einschätzung der gesamten Situation von untergeordneter Bedeutung. Es ist lediglich die Tatsache bedeutungsvoll, dass es eine Coronakrankheit nach allen vorliegenden Untersuchungen gibt und darüber hinaus, dass gerade dieses Krankheitsbild die ganze Welt zu Lockdowns und einer wachsenden Krisensituation führt. Es zeigt in der Gesamtsumme nichts anderes und nichts deutlicher, als dass die Menschheit wirklich in einer Notsituation steht. Welche Not besteht aber im tiefsten Kern des Menschseins wirklich?

Im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte verlor der Mensch im wachsenden Maße seine gesunde emotionale und kognitive Integrität. Die Wortbedeutung von Integrität als eine ethische und moralische Forderung bezeichnet eine größtmögliche Übereinstimmung der eigenen Ideale und der persönlichen errungenen Werte mit der nach außen gerichteten und sichtbaren Lebenspraxis. Mit anderen Worten kann dieser gleiche Begriff mit einer soliden Übereinstimmung des seelisch-geistigen Potenzials des Menschen mit seinem Körper und seinen sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Lebensäußerungen gesehen werden. Handelt der Einzelne tatsächlich noch im Urvertrauen nach den besten Idealen und Werten und lässt er sich nicht von den zeitbedingten Korruptionen verlocken, handelt er authentisch nach Wahrheit und sozialer Liebe, anstelle nach Gewinntracht und äußerer Anerkennung? Sicherlich ist diese Frage oftmals mit Nein zu beantworten, denn das solide Gleichgewicht der Seele zum Körper oder der Persönlichkeit zur äußeren Welt ist bei vielen Menschen wie gebrochen. Der Verlust der Integrität bezeichnet deshalb nicht nur eine fast unheilbare Fraktur zwischen Idealen und tatsächlichen Lebensbedingungen, sondern es offenbart sich ein missliches Verhältnis des Seelenlebens zum eigenen Körper und somit können Ängste und Verzweiflungen umso mehr das Leben bestimmen.“

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Interview mit Dieter Nuhr: Wie man durch einen Shitstorm manövriert

Der Kabarettist Dieter Nuhr im Interview bei Phoenix: Warum unbequeme Denker heute nicht mehr mit Argumenten, sondern mit bloßen Attributen und Etiketten bekämpft werden.

Nuhr: “Der Shitstorm ist die humane Schwester des Pogroms. Es ist heute derselbe Mechanismus: Menschen rotten sich zusammen, um  jemanden zu lynchen – nur nicht mit der Mistgabel, sondern mit der Tatstatur, und setzen an zur sozialen Vernichtung.“

Im Interview spricht Dieter Nuhr auch über die Süddeutsche Zeitung, die sich nicht mehr objektivem Journalismus verpflichtet fühle, sondern versuche, virulente „Wutströmungen aufzunehmen und damit ihre sinkende Auflage zu stabilisieren“ – was Nuhr allerdings für nichts weniger halte als den Untergang des Journalismus. Als jemand, der sich nach eigenem Bekunden dem herrschenden Zeitgeist widersetzt und daher von der Süddeutschen mit einem diffamierenden Artikel ins Visier genommen wurde, kann Dieter Nuhr belegen, dass die SZ über seine Person nicht einmal richtig recherchiert hatte, sondern dass „ideologische Vernichtung das Ziel des Artikels war“.

Nach Ansicht von Nuhr dürfe man mediale Diffamierungskampagnen und Shitstorms nicht bloß über sich ergehen lassen, da einen die hierbei aufgeprägten Etiketten ansonsten quasi aus der zivilisierten Gesellschaft ausschlössen.

Die Tendenz, dass Wahrheiten nicht mehr ausgesprochen werden dürfen und Debatten unterdrückt werden, beobachte er mit großer Sorge. Das Wegfallen bisheriger Tabus halte er für einen dramatischen Zivilisationsverlust. Diesem gelte es entschieden entgegenzutreten.

Wissensvermittlung oder Wissensverhinderung? – Wikipedia und der Fall Clemens Arvay

Ein jüngstes Beispiel, wie auch die vermeintlich freie Online-Enzyklopädie Wikipedia als Werkzeug für Rufmordkampagnen genutzt wird, findet sich im Fall des Biologen Clemens Arvay. Nachdem er sich kritisch zur geplanten Corona-Impfung und verkürzten Zulassungsverfahren geäußert hatte, sah er sich nicht nur medialen, sondern mittlerweile auch tätlichen Angriffen ausgesetzt.

Wie bereits in den Dokus Die dunkle Seite der Wikipedia und Zensur von Markus Fiedler herausgearbeitet, zeigt sich wiederum, dass Wikipedia von anonymen Administratoren dominiert wird, die es als ihren Auftrag ansehen, dem Mainstream widersprechende Personen und alternative Denkansätze systematisch zu ächten (zu Organisationsstruktur und Manipulationstechniken von Wikipedia siehe auch >>swprs).

Hierzu auch aus einem Kommentar der Nachdenkseiten:

„Es ist ohnehin ein großes Missverständnis, wenn die Wiki-Aktivisten meinen, Wissenschaft habe etwas damit zu tun, Positionen anhand ihrer Kompatibilität zum Mainstream zu bewerten. Die meisten großen wissenschaftlichen Erkenntnisse mussten sich zunächst gegen einen Mainstream durchsetzen und wurden anfangs belächelt oder gar bekämpft. Hätte es die Wikipedia bereits in früheren Jahrhunderten gegeben, wären sicher auch Galileo Galilei, Nikolaus Kopernikus und Johannes Keppler mit Verweis auf die Meinungsartikel katholischer Theologen als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet worden. Wissenschaft lebt vom Widerspruch und die wissenschaftliche Herangehensweise beinhaltet die inhaltlich ergebnisoffene Debatte, losgelöst von der Person und erst recht losgelöst von ideologischen Scheuklappen und interessengeleiteter Einflussnahme. Von diesem Ideal entfernt sich die Wikipedia von Tag zu Tag mehr. Welchen Mehrwert hat aber eine ideologisch motivierte Enzyklopädie, die nicht das Wissen der Welt, sondern die Meinungen einiger weniger Aktivisten, die sich als Hüter des Wissens gerieren, widerspiegelt?“
(Quelle: nachdenkseiten.de)

siehe auch:

Macht Freitod wirklich frei – oder vollkommen unfrei? (Zum Suizid von Clemens Arvay)