Macht Freitod wirklich frei – oder vollkommen unfrei? (Zum Suizid von Clemens Arvay)

(Clemens Arvay / Youtube)

In seinem jüngsten Video wünscht der Psychiater Raphael Bonelli dem verstorbenen Clemens Arvay „eine gute Reise“. Doch wohin geht die Reise eines Menschen, der sich selbst aus dem Leben genommen hat?

Tod eines Schwimmers gegen den Strom

Der Tod des Biologen und Sachbuchautors Clemens Arvay sorgt derzeit für große Betroffenheit. Arvay erlangte im deutschsprachigen Raum weitreichende Bekanntheit durch seine Kritik an verkürztem Zulassungsverfahren und Wirksamkeit der mRNA-Impfung. Mehr als 140.000 Menschen folgten seinem Youtube-Kanal. In Talkshows wurde er als Kontrahent gewichtigen Vertretern von Pharma und Medizin wie Weltärztepräsident Montgomery gegenübergestellt. Obwohl er sich bei seiner Aufklärungsarbeit stets um eine sachliche und differenzierte Betrachtung bemühte, sah er sich massiver Kritik und Anfeindungen ausgesetzt. In einer Phase, als die Impfung noch mit dem Versprechen der „Vollimmunisierung“ beworben wurde, wurde Arvay als „Coronaleugner“ diffamiert, seine akademische Qualifikation in Abrede gestellt. Der mediale Hass auf seine Person gipfelte schließlich in tätlichen Angriffen. In der Filiale eines Paketdienstes wurde er von einem Befürworter der Corona-Maßnahmen mit Fäusten und Tritten zu Boden geprügelt.

Nach eigenem Bekunden waren es jedoch vielmehr die verbalen Angriffe und Herabwürdigungen, die ihm zusetzten. Wie bereits Heinrich Böll wusste, „kann die Gewalt von Worten schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen“. Aus einer WhatsApp-Nachricht von Clemens Arvay an den Facharzt Raphael Bonelli:

„Es ist der nervliche Wahnsinn. Die Methoden sind so niederträchtig. Wird mich am Ende ein Wutbürger umbringen bei so viel Hass?“ (Quelle: RPP)

Bonelli spricht von einer „Steinigung im sozialen Sinn“, die Arvay erlebt habe. Schlaflose Nächte bereitete ihm insbesondere die herabwürdigende Darstellung auf Wikipedia – einer scheinbar objektiven, laut Recherchen des Diplombiologen Markus Fiedler jedoch von Administratoren der szientistisch-atheistischen Gwup-/Skeptikerbewegung dominierten Plattform (siehe „Clemens Arvay – Rufmord in der Wikipedia, die Analyse“). Deren meist anonym agierenden Akteure verfolgen das Ziel, von der herrschenden Meinung abweichende Personen aus dem öffentlichen Diskurs auszugrenzen (siehe die Doku „Zensur – die organisierte Manipulation der Wikipedia und anderer Medien“). Entsprechend tendenziös beginnt auch die Darstellung von Arvays akademischer Qualifikation im obersten Kapitel seines Wikipedia-Eintrags: „Nach einer Buchbinderlehre und Abendmatura studierte Clemens Arvay zunächst Landschaftsökologie …“

– Nun, welcher unbedarfte Leser will sich schon von einem Buchbinderlehrling etwas über mRNA-Impfungen erzählen lassen? Dass sich die Hypothesen dieses Buchbinders mittlerweile fast ausnahmslos bestätigt haben, wurde von seinen Kritikern geflissentlich ignoriert. Obwohl nun auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die zum Teil erschütternden Nebenwirkungen der neuartigen mRNA-Impfungen berichtet wird (siehe z.B. ZDF, ARTE, MDR und Bayerischer Rundfunk),  vor denen Arvay unter Bezug auf Zulassungsstudien frühzeitig gewarnt hatte, blieb eine Rehabilitation seiner Person aus.

Diffamierungen und Falschdarstellungen auf Wikipedia, wonach er gar kein Biologe, sondern bloß Landschaftsgärtner sei, wurden auch von großen Leitmedien kritiklos übernommen. In einem Angriff der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) auf ein millionenfach gesehenes Video, in welchem Arvay vor – mittlerweile erwiesenen – Autoimmunerkrankungen als Folge der mRNA-Impfung warnt, wird nicht auf den Inhalt dieses Videos eingegangen, sondern stattdessen am äußeren Erscheinungsbild Arvays als „Mann mit Öko-Zopf und bleicher Haut“ moniert. Der Psychotherapeut Raphael Bonelli berichtet, dass Arvay unter der medialen Diffamierung extrem gelitten und deswegen sogar am Telefon geweint habe.

Verfolgung

In seinem Telefonat zitierte Bonelli aus einem Paulus-Brief an die ersten Christen, welche ebenfalls mit fortwährender Verachtung und Erniedrigung durch weltliche Autoritäten zu kämpfen hatten:

„Wir sind schwach, ihr seid stark; ihr seid angesehen, wir sind verachtet.
Bis zur Stunde leiden wir Hunger und Durst und Blöße und werden mit Fäusten geschlagen und sind heimatlos.
Wir mühen uns ab, indem wir mit eigenen Händen arbeiten;
wir werden beschimpft und segnen;
wir werden verfolgt und halten stand.“

(Quelle: Paulus, 1. Brief an die Korinther, Ephesus, 54 n. Chr.)

Solche Zeilen muten zeitlos an. Das darin geschilderte Erleben wird wohl jedem Forscher, Entdecker, Umwelt- oder Friedensaktivisten bekannt sein, der sich der Wahrheit verpflichtet fühlt und seine Erkenntnisse entgegen der herrschenden Meinung und den etablierten Mächten in die Öffentlichkeit trägt. Wer in diesem Sinne den „schwereren“ Weg an Stelle des zunächst „leichteren“ wählt, kann aus diesen Worten Kraft schöpfen. Man lernt damit zwischen weltlichen Kategorien und innerem, geistigem Weg zu unterscheiden. Auch Clemens Arvay habe nach dem Bericht Bonellis zunächst auf diese Worte aufgemerkt.

Letzte Worte

Allerdings konnte er vom Hader mit der Ungerechtigkeit der Welt letztlich doch nicht loslassen. Obwohl er größten Wert auf „wissenschaftliche Vorgehensweise“ legte und sich von mancherlei, vermeintlich unseriösen Spekulationen distanzierte, blieb die erwartete Rehabilitation nach Bewahrheitung seiner Thesen aus. In den sozialen Medien blieb er der „Schwurbler“ und „Mann mit Öko-Zopf und bleicher Haut“. Vor wenigen Tagen erfuhr man von seinem Suizid. Die letzten Worte auf einem hinterlassenen Zettel waren:

„Sie machen mich fertig. Sie hören nicht auf. Ich habe Angst, dass sie noch mehr über mich schreiben“.

In zahlreichen Nachrufen werden nun der Hass und die mediale Hetze thematisiert, die Clemens Arvay letztlich zu seiner Verzweiflungstat getrieben hätten. Die Kritik am Umgang mit seiner Person und der heute grassierenden „Cancel-Culture“ ist berechtigt, eine sachliche Aufarbeitung dringend geboten. Auch sind der Einsatz und das publizistische Werk von Clemens Arvay zweifellos zu würdigen. Dennoch bleibt nach dem Lesen entsprechender Nachrufe ein Gefühl von Dissonanz und eigentümlich anmutender Leere zurück. Man frägt sich, welche Empfindung die Leser seiner Bücher – die als vielfache Bestseller in zahlreichen Regalen stehen  – nun beim Erblicken seiner Werke haben. Aravy wollte mit seinen Büchern Mut machen. „Wir können es besser“, lautete einer seiner Titel. Nun hat sich der Autor, der uns hierzu motiviert hat, allerdings selbst dem Leben entzogen. Der erst 42-jährige Mann hätte die Reifephase seines Lebens erst vor sich gehabt. Angesichts seiner Intelligenz, interdisziplinären Kompetenz und vielfachen, auch musikalischen  Talenten, hätte er der Welt noch viel zu geben gehabt. Gerade in einer Zeit der Umbrüche, in der sich alte Strukturen und Denkweisen als nicht mehr tragfähig erweisen und ein neues Welt- und Menschenverständnis in die Geburt kommen möchte, wäre sein Beitrag bedeutungsvoll gewesen. So jedoch hat er den vielversprechend gesponnenen Faden jäh abreißen lassen. Er hinterlässt einen pflegebedürftigen Sohn und ratlose Angehörige.

Wie erlebt Clemens Arvay seine Tat im Nachtodlichen?

In einer durchwegs materialistisch geprägten Zeit mag die Frage nach der Weiterexistenz und dem Schicksal der Seele als vermessen oder als Phantasterei gelten. Sind doch heute nicht wenige Menschen der Ansicht, dass das Bewusstsein mit dem Tod des Körpers ebenfalls erlischt. Dieser Ansicht widersprechen zahlreiche gut dokumentierte Nahtoderfahrungen, in welchen klinisch tote und später reanimierte Menschen, mitunter sogar im Zustand vollkommenen Erlöschens der Gehirnwellenaktivität – also der vermeintlichen Basis des Bewusstseins –, erleben konnten, dass es nach dem Tod keineswegs wie erwartet einfach „schwarz vor Augen“ wurde. Stattdessen berichten selbst überzeugte Atheisten, dass ihr Bewusstsein auf einer anderen Ebene weiterexistierte und sich einer Vielzahl unerwarteter Eindrücke gegenübersah.

Obwohl derartige Jenseitserlebnisse mit Vorsicht zu betrachten sind, da es den Personen ohne vorangehende Schulung in der Regel nicht möglich ist, die nun einsetzenden Erlebnisse richtig einzuordnen und sie vorerst einmal nur von der Leichtigkeit und Helligkeit als Folge der Freiheit vom Körper euphorisiert sind. Dementsprechend dominiert bei der überwiegenden Anzahl der Fälle ein freudiges und erleichtertes Erleben unmittelbar nach dem Austritt aus dem Körper. Laut übereinstimmenden Berichten wollen die meisten Nahtod-Erlebenden deshalb zunächst nicht mehr in ihren physischen Körper zurückkehren. Vielfach berichten sie, dass sie dann jedoch von hierarchischen Wesen zurückverwiesen wurden. In vergleichsweise wenigen Fällen hat der klinische Todeszustand so lange angedauert, dass die Person nach dem anfänglichen Leichtigkeitsgefühl auch mit tieferen, zum Teil sehr bedrückenden seelischen Erlebnissen konfrontiert wird, indem sie sich in zeitlich umgekehrter Folge mit allen ihren Taten auseinandersetzen muss, d.h. wie bei einem rückwärts ablaufenden Film mit den unmittelbar vor dem Tod erlebten Begebenheiten zuerst, dann mit den Erlebnissen im mittleren Lebensabschnitt und zuletzt mit jenen der Jugend.

Wenngleich derartige Berichte meist stark subjektiv gefärbt und vielerlei religiösen Interpretation unterworfen sind, so ist es dennoch ein bemerkenswerter Umstand, dass das Erleben im Jenseits einen unerwarteten Lehrcharakter annimmt – ganz im Sinne Goethes Auffassung des Lebens als „Pflanzschule des Geistes“: Gewohnte irdische Kriterien des Habens verblassen, im Leben Konsumiertes und Genossenes wird sogar als Last und Schatten erlebt, während nur das, was man als Mensch an Erkenntnissen und Tugenden errungen und für andere gegeben hat, als bleibender Wert erlebt wird. Taten ebenso wie Unterlassungen des in den persönlichen Möglichkeiten Gelegenen zeigen sich nun in ihrer Konsequenz. Durch zu Lebzeiten getätigte Gedanken, Gefühle und Handlungen erzeugte Werte und Unwerte stehen plötzlich in wesenhafter Gestalt – oft als Tiere – vor einem und wollen bewältigt oder weiterentwickelt werden. Der Charakter dieser Rückschau wird mitunter als sehr quälend erlebt und erinnert an Szenen in Dantes Inferno. Egoistische Gefühle erscheinen in Flammen oder auch Kälte (vgl. Dantes „Eishölle“). Charakteristisch auch das sorgfältige Differenzieren zwischen Wahrheit und Lüge, der man sich im Leben hingegeben hat.

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Ägyptisches Totengericht: Das Herz des Verstorbenen wird mit einer Feder aufgewogen, rechts davon Gott Thot, der das Ergebnis aufschreibt (Foto: British Museum, Public domain)

Heute nur noch in Fragmenten erhaltene Überlieferungen über das Leben nach dem Tod waren wesentlicher Bestandteil aller bisherigen Hochkulturen. Eine das Jenseits und sogar den physischen Tod verdrängende Kultur mit nahezu ausschließlichem Diesseitsfokus hat sich erst in einer vergleichsweise kurzen Zeit der letzten Jahrhunderte herausgebildet. In der Zeit davor  nahmen Menschen viele Anstrengungen auf sich, um sich angemessen auf den Tod bzw. ein Leben nach dem Tod vorzubereiten. So war etwa das Leben des Ägypters ganz auf das Leben nach dem Tod hingeordnet.

In prototypischer Weise werden Nahtoderlebnisse auch im sogenannten „Traumlied des Olaf Asteson“ geschildert, einem im norwegischen Volksgut seit Generation überlieferten Text, in dem die Erlebnisse eines für tot befundenen, dann aber wieder aufgewachten jungen Mannes festgehalten sind. Das Lied wurde früher als eine Art Requiem für Verstorbene gesungen, während dreier Tage ihres Aufgebahrt-Seins. Heute ist nur noch ein kleiner Teil des ursprünglich mehrere hundert Strophen umfassenden Liedes erhalten. Ausschnitt über die Begegnung mit den Produkten der eigenen Gedanken, Gefühle und Taten, die sich nun in bedrohlicher Gestalt zeigen und dem weiteren Weg entgegenstellen:

Gar bissig ist der Hund,
Und stechen will die Schlange,
Der Stier, er drängt gewaltig!
Sie lassen keinen über die Brücke,
Der Wahrheit nicht will ehren!

Die Seelen, sie mussten angstvoll zittern!
Die Tränen rannen hier in Strömen
Als böser Taten Folgen.

Wie selig ist, wer im Erdenleben
Den Armen Brot gereicht!
Er braucht nicht mit nackten Füßen
Zu wandeln im Dornenfeld.
(…)
Ihn können nicht verletzen
Die Hunde in jener Welt.
(…)
Ihm kann nicht drohen
Das scharfe Horn des Stieres,
Wenn er die Gjallarbrücke überschreiten muss.
(…)
Ihn können nicht erfrieren
Die Eisesmassen in Brooksvalin.

Da spricht der Waage Zunge,
Und Weltenwahrheit
Ertönt im Geistesstand.

Wie verhält es sich nun mit Clemens Arvay, dem der Psychiater Bonelli in einem aktuellen Video eine „gute Reise“ gewunschen hat? Man sollte diese Frage nicht vorschnell beantworten. Arvay hat zu Lebzeiten viel geleistet und seinen Mitmenschen wissenschaftliche Aufklärung, Inspiration, Ermutigung und darüber hinaus berührende künstlerische Darbietungen zuteil werden gelassen – also im Sinne von Astesons Traumlied durchaus viel „Brot“ an seine Mitmenschen gegeben –, dann aber eine erschütternde Tat vollbracht, die ein vor Kreativität sprühendes Leben jäh zerstörte: einen Selbst-Mord. Dem Tatbestand und der Konsequenz eines solchen Mordes am eigenen Selbst nimmt es wenig, wenn man ihn gemeinhin als „Freitod“ bezeichnet – ein Begriff, der impliziert, dass es im eigenen freien Ermessen läge, ihn zu wählen und damit sein Leben gewaltsam zu beenden. Man hat damit nicht nur sich selbst um die Möglichkeit gebracht, die Welt in einer jeweils gegebenen Lebenspanne zu bereichern und selbst zu lernen. Auch den verwandten und ferneren Mitmenschen, mit denen man in Beziehung stand oder die auf einen vertraut haben, wurde ein Teil entrissen. Vielfach können Angehörige die nach einem Suizid aufkommenden Gefühle über lange Zeit nur schwer bewältigen und werden von Schuldgefühlen und gedrückter Stimmung geplagt.

Psychotherapeuten berichten, dass Klienten, die einen Selbstmord geplant haben, aber dann durch ein Gespräch davon abgehalten wurden, im Nachhinein ausnahmslos heilfroh und dankbar seien, dass sie diese Tat nicht begangen haben. Gleiches berichten Menschen, deren Suizidversuch gescheitert ist und die ihr Leben wieder fortsetzen konnten.

Die Geisteswissenschaft zu den Folgen eines Suizids

Dass es Personen gibt, die das Erleben der Seele im Jenseits, und dies sogar mit erstaunlicher Klarheit und bis in die tiefsten Ebenen, schon zu Lebzeiten schauen können, mag für das materialistisch geprägte Bewusstsein der Gegenwart im Sinne des Naturwissenschaftlers DuBois-Reymonds („Ignoramus et ignorabimus – „Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen“), eine einzige Provokation darstellen. Wie jedoch Rudolf Steiner, der Begründer der anthroposophisch erweiterten Geisteswissenschaft, meint, verfüge jeder Mensch über ein untrügliches Wahrheitsempfinden, das es ihm ermöglicht, zwischen Unsinn und authentischen Schilderungen der seelisch-geistigen Welt sicher zu unterscheiden. Auch wenn heute die wenigsten Menschen über ein Hellsehen verfügen, so könne jeder Mensch, der sich von vorschnellen Projektionen frei macht und einen offenen Sinn bewahrt, einen gelesenen Text innerlich abwägen und gegebenenfalls seinen Wahrheitsgehalt fühlen. In diesem Sinne mögen auch die nachfolgenden Schilderungen aufgefasst werden.

Eine der eindrücklichsten Beschreibungen des Erlebens der Seele nach einem Selbstmord findet sich bei Steiner selbst. Ihm zufolge sei ein Mensch, der in einem seiner Leben(*) jemals einen Suizid begangen habe, von den Konsequenzen dieser Tat dermaßen erschüttert und von Grauen ergriffen, dass er eine solche Tat „mit Sicherheit nie wieder“ ausführen werde.

(*) Anm.: Gemäß der Anthroposophie ebenso wie laut anderen Weltanschauungen und Religionen wie dem Buddhismus und dem Hinduismus verkörpert sich die Seele des Menschen in mehreren aufeinanderfolgenden Zyklen; hierbei beträgt die Aufenthaltsdauer im Jenseits ein Vielfaches der Lebenszeit im jeweils vorangegangenen irdischen Leben, d.h. ein Mensch inkarniert i.d.R. nach mehreren hundert Jahren wieder, um unter vollkommen geänderten Umständen, meist in einem anderen Kulturkreis und im jeweils anderen Geschlecht als zuletzt, neue Erfahrungen zu sammeln und sich weiter zu vervollkommnen. Laut Steiner macht die Zeit der Konfrontation mit den Ereignissen eines gerade durchlebten Lebens ca. ein Drittel der absolvierten Lebensspanne aus, also i.d.R. ca. 20 bis 30 Jahre. Diese Begegnung mit den Früchten des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns im Sinne eines „Purgatoriums“ oder „kama loka“, in welchem die erworbenen Anhaftungen zum Irdischen abgelegt werden, um in der Folge in das „devachan“ bzw. von der seelischen in eine rein geistige Ebene eintreten zu können, in welcher dann die nächste Inkarnation vorbereitet wird, kann in Abhängigkeit des individuellen Lebenswandels auch deutlich verkürzt oder ausgedehnt sein.

Steiner weiter zu den Entbehrungsgefühlen der Seele nach einem Selbstmord:

„Der Tod erzeugt in ihm zuerst die Wirkung einer ungeheuren Leere. Bei gewaltsamem Tod und bei Selbstmord sind diese Gefühle der Leere, des Durstes und des Brennens noch viel schrecklicher. Der seelische Leib, nicht dazu vorbereitet, außerhalb des physischen Leibes zu leben, reißt sich unter Schmerzen von ihm los, während beim natürlichen Tode der reif gewordene Seelenleib sich leicht löst. Beim gewaltsamen Tod, der nicht vom Willen des Menschen verursacht ist, ist die Loslösung immerhin weniger schmerzhaft als im Fall des Selbstmords. (Quelle: GA 94, S. 63f)
(…)
Zu den verschiedenen Gefühlen, die dem Menschen im Leben anhaften, gehört besonders das eigentliche Daseinsgefühl, das Lebensgefühl, die Freude am Leben überhaupt, am Drinnenstecken im physischen Körper. Darum ist es eine Hauptentbehrung, keinen physischen Körper mehr zu haben. Wir werden nun dadurch das furchtbare Schicksal und die entsetzlichen Qualen jener Unglücklichen verstehen, welche durch Selbstmord aus dem Leben scheiden. Beim natürlichen Tod ist die Trennung der drei Körper verhältnismäßig eine leichte. Selbst bei Schlaganfall oder sonst einer schnellen natürlichen Todesart ist in Wirklichkeit schon längst die Trennung dieser höheren Glieder voneinander vorbereitet worden; sie trennen sich leicht, und die Entbehrung des physischen Leibes ist dann nur eine sehr geringe. Aber bei einer so gewaltsamen plötzlichen Trennung vom Körper wie bei einem Selbstmörder, wo noch alles gesund ist und noch fest zusammenhält, da tritt unmittelbar nach dem Tode eine starke Entbehrung des physischen Körpers auf, die furchtbare Leiden verursacht. Es ist ein furchtbares Schicksal. Der Selbstmörder fühlt sich wie ausgehöhlt und beginnt nun ein grausiges Suchen nach dem so plötzlich entzogenen physischen Körper. Nichts lässt sich damit vergleichen.
Es wird nun mancher sagen: Der Lebensüberdrüssige hängt ja gar nicht mehr am Leben, sonst hätte er es sich nicht genommen. – Das ist eine Täuschung, denn gerade der Selbstmörder hängt zu sehr am Leben; weil es ihm aber die Befriedigung gewohnter Genüsse nicht mehr bietet, weil es ihm vielleicht durch veränderte Verhältnisse manches versagt, darum geht er in den Tod, und darum ist ihm nun die Entbehrung des physischen Körpers unsagbar groß.“ (Quelle: GA 95, S. 34)

Steiner meint, dass in einer zukünftigen Zeit, wenn das Wissen über Reinkarnation allgemeines Kulturgut geworden sei, es keinen Selbstmord mehr geben würde. Denn dann stünde jedem die Sinnlosigkeit und Tragweite eines solchen Tuns vor Augen. Vorerst geht der Trend jedoch offensichtlich noch in die andere Richtung. Suizide haben laut Statistik in den letzten Jahren deutlich zugenommen, die rechtlichen Schwellen für assistierten Selbstmord werden in vielen Ländern abgebaut. Zuletzt wurde eine vollautomatische Gas-Kapsel präsentiert, mit der man auch ohne ärztliche Hilfe in den „Freitod“ gehen kann (siehe Bericht in Stern).

Das „Wiegen“ der Seele

Zu einem ähnlichen Befund der Wirkungen eines Suizids kommt der Geistforscher Heinz Grill. Ebenso wie Steiner bezieht sich Grill nicht auf historisches Wissen oder mediale Eingebungen, sondern sieht seine Eindrücke als Resultat einer vollbewussten, konzentrierten Erkenntnisschulung, die heute jedem Menschen zugänglich wäre.

Eine detaillierte Schilderung der Wege, welche die Seele nach dem Abscheiden aus dem Körper zu durchlaufen hat, findet sich im Buch „Initiatorische Schulung: Die Seelsorge für die Verstorbenen“. Konkret sind es demnach sieben Ebenen, welche wir nach unserem Tod für eine gewisse Zeit durchwandern. In jeder dieser Ebenen gilt es spezifische Lernschritte zu absolvieren und gibt es eine eigene Art von Waage. Insbesondere  findet eine Auseinandersetzung mit zu entwickelnden Tugenden sowie im Leben unterlassenen Aufgaben und Möglichkeiten statt.

„Die Seele erlebt besonders intensiv die Tiefe ihrer eigenen Seelensubstanz, die Tiefe ihres eigenen Denkens, Fühlens und ihres Willens. Bildhaft gesprochen wird sie nach den Qualitäten ihrer Seelenkräfte gewogen. (…) Der Ausdruck »wiegen« ist, obwohl sehr allegorisch gesprochen, für das Empfinden, das im Jenseits über längere Phasen erlebt wird, sehr charakteristisch, denn es ist ein sehr sensibles Spüren, das sich relativ zügig wie das Einpendeln der Waagebalken entwickelt. Die Seele findet ihr ureigenes, inneres Gleichgewicht zwischen den unterlassenen Lebensschritten und den absolvierten Pflichten. Sie findet ihr eigenes Gesetz, ihr seelisches dharma. Die Seele erfährt sich zwischen Tiefe und Oberflächlichkeit, zwischen Annäherung und Wahrheit, Täuschung und Illusion. Sie erfährt sich zwischen Pflicht und Unterlassung. Ihr freudiger Unterhalt, ihre Lebensstimmung, die sie nun bezieht, entnimmt sie aus der Tiefe ihrer eigenen verflossenen Gedanken, Empfindungen und Taten.“

Detail aus ägyptischem Wandbild: Links das menschliche Herz, das auf einer Waagschale mit einer Feder aufgewogen wird; nur wenn es leicht wie diese Feder ist, kann die Seele den Weg in die höheren Welten fortsetzen. Ist das Herz aufgrund seiner irdischen Anhaftungen und der überführten „Lüge des Herzens“  zu schwer, dann sinkt die Waagschale nach unten, wo es dem Zugriff von Ammut ausgesetzt ist, einem gefräßigen Wesen mit Krokodilkopf (siehe Foto unten)

Im Zuge dieses schon in der ägyptischen Tradition erwähnten „Wiegens“ könne die Seele entweder freudige Verbundenheit mit der umgebenden Welt oder auch schmerzliche Beklemmung erleben. Die schmerzlichen Gefühle seien jedoch nicht im kirchlichen Sinne als Strafe aufzufassen, sondern die individuelle Seele wünsche aus sich selbst heraus eine Überwindung ihrer Mängel und eine progressive Weiterenwicklung. Ebensowenig seien diese Läuterungszustände von ewiger Dauer, sondern zeitlich befristet. Wie Steiner beziffert auch Heinz Grill diese Zeitdauer mit einem Drittel der Lebenszeit:

„Alle diese sieben Sphären besitzen ein unterschiedliches Bewusstsein. In jeder Sphäre wird eine spezifische Läuterung erlebt. In jeder Sphäre gibt es eine Art Waage, die das Leben nach den verflossenen Tiefen wägt und beurteilt. Sind wir den Aufgaben, Pflichten und Anforderungen ausgewichen, so werden wir in der entsprechenden Sphäre im Nachtodlichen Leben eine Leere, einen Schmerz, eine Einsamkeit ein Ausgegrenztsein, ein Verlassensein und eine Isolation erleben. Die Gefühle in diesen Ebenen sind unterschiedlich, so wie auch die Aufgaben jeder Mensch besitzt, von unterschiedlicher Art und Notwendigkeit gewesen sind. Aber jeder Mensch, der durch die irdische Welt hindurchgegangen ist, muss ebenfalls durch die Planetensphäre und Ihre Reinigungsprozesse hindurchgehen. Der Durchgang durch diese Welten dauert etwa ein Drittel der Lebenszeit, so dass ein Mensch, der im sechzigsten Lebensjahre verstirbt, etwa zwanzig Jahre durch die seelische Welt hindurchgeht.“

Hinsichtlich der Schwere der Folgewirkungen eines Suizids unterscheidet Heinz Grill zwischen individuellen Umständen und insbesondere dem Motiv, das bei einer solchen Tat überwiegt:

  • Einerseits das Motiv der Enttäuschung und Frustration dem Leben gegenüber, das Nicht-Erfüllt-Werden-Können der eigenen Wünsche, letztlich identifizierbar als Trotzhaltung, die auch intentional den noch Lebenden Schuldgefühle zuweisen soll
  • Andererseits das Motiv einer tatsächlichen Ausweglosigkeit zufolge einer schweren Psychose, Depression oder sonstigen psychischen Krankheit

Wohl werden bei einem Suizid immer beide Komponenten vorhanden sein und kann die Anwesenheit einer mehr oder weniger ausgeprägten Depression in den seltensten Fällen geleugnet werden. Dennoch ist es aus geisteswissenschaftlicher Sicht insbesondere das Motiv des Trotzes, das sich im Falle seines Überwiegens als sehr problematisch für den weiteren Gang der Seele erweist. Hingegen findet die Seele eine vergleichsweise bessere Verbindung zur geistigen ebenso wie zur zurückgelassenen irdischen Welt, wenn die Tat eine wirkliche Verzweiflungstat in einer psychischen Ausnahmesituation war.

In den Medien wurde verlautbart, dass Clemens Arvay in einer psychiatrischen Einrichtung stationär aufgenommen war und seine Tat kurz nach Entlassung aus dieser Einrichtung begangen hatte. Auch wenn die näheren Umstände und eine konkrete Diagnose nicht bekannt sind, so kann jedenfalls angenommen werden, dass sich Arvay in einer schweren psychischen Krise befunden haben muss, andernfalls er sich nicht in stationäre Behandlung begeben hätte. Das Vorliegen eines gravierenden psychischen Leidens mag also bei der Einordnung seiner Tat im Lichte der nachfolgenden Ausführung berücksichtigt werden. Gleichermaßen ist das Beharren von Clemens Arvay auf seine wissenschaftliches Reputation in nächtelangen „edit wars“ auf Wikipedia und sozialen Medien wie Facebook nicht zu übersehen (vgl. auch seine letzten Worte) – ein Umstand, den seine Gegner auch weidlich ausnutzen konnten, um ihn zur Verzweiflung zu treiben.

Heinz Grill weiter zu den Folgen einer Handlung aus Trotz gegenüber einer Affekthandlung aus Verzweiflung:
[Ausschnitt aus vorgenanntem Buch S.156 ff., veröffentlicht 2001, also noch nicht bezogen auf den Fall von Clemens A., sondern auf das Thema Suizid in allgemeiner Weise]

„Der Weg, den der Mensch gehen muss, nachdem er sich das Leben genommen hat, ist ein komplizierter und soll nun einmal in seinem Ablauf zur Schilderung kommen.

Häufig tritt der Suizid eines Menschen für die Hinterbliebenen auf unvorhergesehene Weise ein. Nichtsahnend, ohne größere Vorzeichen und ohne Ankündigung entschwindet ein Mensch durch den Suizid. Bei einem richtig geplanten Unternehmen gelingt in der Regel auch die Tötung des eigenen Körpers, während bei Affekthandlungen, Handlungen, die innerhalb einer Psychose, in einer schweren Depression, oder bei Handlungen, die in der Verzweiflung oder im schnellfertigen Trotz entstanden sind, meist durch die Mitmenschen das Leben noch einmal gerettet wird. Aber auch viele andere Gründe mögen die Menschen zu Gedanken an den Selbstmord oder auch zu regelrechten konkreten Planungen, das Leben auslöschen zu wollen, führen. In den meisten Fällen aber ist eine sehr tiefe Abhängigkeit und Neigung zum Leben ersichtlich, das der Selbstmörder keinesfalls loslassen möchte.

Der Trotz oder die intensivere Anhaftung an Lebensgefühle, das Nichtlösen Können der verschiedenartigen Beziehungsverhältnisse, das Unerfüllt-Bleiben der Erwartungen, die vielen Unfähigkeiten zu einem wahrer menschlichen Dialog von Herz zu Herz und das seelische Befremdet sein im Zueinander lassen sehr leicht die übersteigerten Gefühle, die zu einem Suizid führen können, aufkommen. Wenn dann in einer Familie oder in einem Kreise von Menschen der Suizid von jemandem eingetreten ist, so bleiben außerordentlich beklemmende Schuldgefühle und mysteriöse, verletzte Stimmungen zurück. Als Hinterbliebene wissen wir dann nicht mehr, wohin der Kollege, der Freund, der Verwandte, der Jugendliche oder der Elternteil nach seinem Entschluss, die Welt aus eigenem Willen zu verlassen, hingegangen ist. Wir ahnen nur das schmerzliche Eingebundensein, das Gefängnis der Einsamkeit, das seelenarme Quartier des Geistes, das jener in seiner Verzweiflung nun einnehmen muss.

Im Zwischenreich

„Tatsächlich wählt die Seele einen Ort der geistigen Welt, der weder den Seelenebenen noch den irdischen Ebenen entspricht. Sie wählt einen eigentümlichen Ort an dem sich weder ein Lebender noch ein Verstorbener gerne aufhalten will. Dieser Ort ist eine Art Zwischenreich zwischen Erde und Himmel und ist aber weder mit der Erde noch mit dem Himmel im wirklichen, lebendigen Zusammenhang. Das Leiden ist gewissermaßen für den Suizidanten wie ein Arrest zu sehen, den er nun für eine gewisse Zeit vollbringen muss, bis er dann nach und nach in die seelische Welt und in die Reinigungsebenen übergehen kann. Die Rosenkreuzerschule spricht davon, dass die Zeitdauer dieser Aufenthalte, die Menschen in Folge ihres Suizids durchleben müssen, genau der Phase entspricht, die jener Mensch noch an Lebenserwartung-gehabt hätte. Stirbt jemand beispielsweise durch Suizid im 20. Lebensjahr und wäre seine Lebenserwartung etwa noch 30 Jahre gewesen, so muss er eine Arrestzeit von 30 Jahren nun vollbringen. 30 Jahre lang reißt der Zusammenhang zwischen Himmel und Erde für den Menschen ab. Stirbt jemand aber durch Suizid im 60 Lebensjahr und wäre er noch weitere 10 Jahre alt geworden, so ist seine Zeit, die er zwischen den Welten vollbringen muss, 10 Jahre.

Viele Menschen tragen die Idee zum Suizid in sich, aber nur ein gewisser kleiner Teil dieser Menschen realisiert diese Entscheidung. Vielleicht mögen es moralische Gründe sein, vielleicht mögen es Gründe der Verantwortung gegenüber den Mitmenschen sein, oder vielleicht mögen es Ängste und religiös auferlegte Stimmungen sein, die den Menschen von der wirklichen Entscheidung abhalten. Aber fragen wir uns doch einmal selbst in der Seele sehr inniglich, wie wir in manchen Situationen aus gewissem Trotz heraus vielleicht schon konkrete Überlegungen und Pläne zum Selbstmord gehegt hatten. Immer sind es recht gefährliche, unbekannte Ströme, die sich von innen heraus wie magisch dem Seelenkern bemächtigen. Ein falsches Ich, ein dominierendes Ich, ein ganz leiser Klang eines herrschsüchtigen Ich, das sich allzu leicht in den Mittelpunkt drängen möchte und das den Mitmenschen beweisen will, wie schlecht die Welt ist und wie hoffnungslos sie im sozialen und liebenden Miteinander ausgerichtet sind, bemächtigt sich der Seele und will den Gedanken des Suizids als verdeckte Macht und Trotzhandlung hervorbringen. Dieses Ich des Trotzes, des Herrschens, des Beweisen-Wollens, des Im-Mittelpunkt-der-Aufmerksamkeit-stehen-Wollens existiert in vielen Seelengründen. Aber es ist ein außerordentlich gefährliches Ich, denn es arbeitet nicht mit rationaler Würde, sondern mit ungelebter, verdeckter Macht und es will in jedem Falle den Mitmenschen Schuldgefühle eingravieren. Wenn jemand zum Suizid durch eigenständige Planung kommt, so hat ihn meistens dieses versteckte anonym herrschende Ich in seiner Seele ergriffen, und er weiß somit nicht mehr, was er wirklich für einen Schaden angerichtet hat. Bei den Mitmenschen bleiben dann die eigenartigen Schuldgefühle zurück, denn die Mitmenschen fragen sich, welche Fehler sie begangen haben und warum dieser eine sie verlassen musste. Sie suchen in der Regel die Fehler bei sich selbst und grübeln innerhalb ihrer unsicheren und schwankenden Gefühle. Aber die Schuldgefühle, die sich die Hinterbliebenen machen, entstehen meist aus der schon im Leben bestandenen misslichen, vorwurfsvollen oder verdeckt unabgeschlossenen und unausgesprochenen Situation des Selbstmörders. Suizidgefährdete Menschen besitzen eine außerordentlich schwierige Psyche, sie finden nicht wirklich zum Leben hin und leiden unter ihrer tiefen Neigung zur Welt und zum tätigen Leben. Wir finden bei den Hinterbliebenen deshalb sehr viele Ängste, Unsicherheiten und Schuldvorwürfe vor und bemerken, wie der Suizid eines Angehörigen eine ganze Familie in ihren Standpositionen erschüttern kann. Die Hinterbliebenen wissen nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen und finden oft sehr schwerlich in eine natürliche Mitte.

Viele Selbstmorde und viele Versuche zum Selbstmord entstehen aus einer tiefen Depression oder Psychose heraus, und sie geschehen dann nicht in vollreifer Planung und auch nicht in bewusster Suche nach größerer Aufmerksamkeit, nach einer Mittelpunktstellung und Herrschsucht. Aber jene Menschen, die die Tat planen, stellen sich mit ihrem eigennützigen Abscheiden viel mehr in eine Mitte zu ihren Hinterbliebenen und ernten auf verstärkte Weise die Aufmerksamkeit, denn sie hinterlassen Schuldzuweisungen und viele Unsicherheiten. Der normale Tod eines Menschen durch Unfall oder Krankheit ist erklärbar, aber der Suizid ist für den Menschen, der mit rationalen Vorstellungen das Leben erwägt und dabei ein gewisses religiöses, frommes Bewusstsein besitzt, nicht erklärbar.

Je größer nun die Suche nach Aufmerksamkeit oder nach subtiler Beherrschung bei dem Suizidanten war, umso mehr können wir annehmen, dass dieser sich nun in dem Quartier eines Arrestes befindet und nicht in gewöhnlichen Reinigungswelten der geistigen Ebenen fortschreiten darf.

War es aber eine Affekthandlung, die in der Depression oder in der Verzweiflung geschehen ist, so sind in der Regel die Aufenthaltsorte nicht so sehr in den Stufen zwischen Erde und Himmel, in denen sich der Verstorbene einlebt, sondern sie sind schon mehr im Zusammenhang zu diesen, und die hinterbliebenen Mitmenschen spüren auf nahe Weise ihren Angehörigen oder Freund. Es gibt deshalb viele verschiedene Formen des Suizides und viele verschiedene Stimmungen, die ihn begleiten.

In der Summe aber ist in allen Fällen, bei denen Suizid eingetreten ist, für die Hinterbliebenen eine notwendige Aufklärungsarbeit und eine möglichst progressive Seelsorgeleistung vonnöten. Das Verhältnis von Trotz, Macht, Herrschsucht und falschen, ungelebten Ich-Gefühlen, die zu Aufmerksamkeit führen, zu einer tatsächlichen Verzweiflungstat, zu Psychose oder Depression, ist jedenfalls sehr bedeutungsvoll für die nachtodliche Lebenszeit und für das Band, das der Verstorbene zu den Lebenden einnimmt.“

Möglichkeiten der Hinterbliebenen

„Eine bewusste, nicht mystische, nicht sakramentale, nicht kultgeprägte, sondern aufmerksame, gedankliche und konkrete Leistung zu einem Werden zu einem spirituellen Ganzen kann die Leidens- und Arrestzeit eines zugehörigen, durch Suizid abgeschiedenen Menschen verkürzen. Der Suizidant in seiner Arrestzelle, der unter den Einflüssen fremdartiger Wesen gebunden ist und warten muss, bis er in die seelischen Sphären eintreten kann, erhält durch unsere Bemühungen eine lebendig schwingende Resonanz und erfährt bei sich selbst nun nicht nur Leiden, sondern fühlt plötzlich ein Ich von der Erde heraufkommen und bemerkt die Unsinnigkeit seines eigenen Tuns. Er erfährt sich nicht nur abgeschlossen, sondern er lernt tatsächlich die Wesen, die ihn umgeben und ihn quälen, zu verstehen und spürt einen hoffenden Schimmer von den Erdenverhältnissen heraufstrahlen. Diesen hoffnungsvollen Schimmer brauchen heute die astralen Welten und die Toten, die aus eigenständigem Willen von der Erde abgeschieden sind.

(…)
Neben dieser vom Ich geprägten Spiritualität kann weiterhin eine praktische Seelsorgeleistung für den Abgeschiedenen erfolgen, wenn wir uns selbst darüber bewusst werden, dass im Leben ein auferlegtes Leiden besser ist als gar kein Leiden, und eine Krankheit oder ein Schicksalsschlag noch günstiger sind als die Erfahrung eines Nichts und einer Sinnlosigkeit. Allgemein erfordert das menschliche Triebleben eine ständige Befriedigung und Genugtuung. Es möchte Glück, Frieden, Liebe und Einigung bei sich selbst im kleinlichen Sinne erfahren. Da diese Triebe nach eigener, egoistischer Befriedigung vielfach nicht mehr zufriedengestellt werden können und das Leben kaum sinnvolle Möglichkeiten —zu wirklichen sinnlichen Erfüllung bietet, wähle doch recht viele Menschen den Weg. Eines Auslöschens oder eines Nichts. In diesen vorbelasteten Gemütszustand verdrängt das Oberbewusstsein dann gänzlich seine Bedürfnisse nach der Welt und nach einem Geliebtwerden in der Welt. Das Oberbewusstsein verdrängt vor allem auch das Bedürfnis aus einem gewissen Gefühl der Ohnmacht und des atheistischen Nihilismus heraus. Andere, fremdartige Hoffnungen bemächtigen sich dem Inneren, die dem Leiden aus dem Wege gehen wollen und ihr Kreuz ablegen wollen, indem sie die Entwicklung verneinen. Das Leiden aber gewinnt mit diesen schwierigen inneren, psychischen Konflikten sein degeneratives und prekäres Ausmaß.

Für die Seelsorgearbeit ist es deshalb günstig, wenn wir uns ein Bewusstsein darüber aneignen, dass es niemals möglich ist, aus den gegebenen Lebensströmen und aus den Schicksalen, die uns vom Kosmos und von innen heraus auferlegt sind, herauszutreten. Das Leiden oder das schicksalsmäßig ungerechte Behandeltwerden ist noch besser als ein Nichts oder als eine tatsächlich fremde Welt. Wer einmal in seinem Leben beziehungsweise innerhalb seiner Inkarnationen einen Suizid hinter sich gehabt hat, wird diesen niemals mehr in der weiteren Zukunft begehen denn er hat die Erfahrung des Fremden und des Eingekapseltseins im Kosmos miterlebt und erschafft aus der unbewussten Erinnerung eine Schutzschicht gegenüber dem Suizid.

(…) Wir selbst können uns deshalb in der Seele ein Bewusstsein aneignen, ob wir ein vollkommenes Auflösen und Entfremdetsein von dieser Welt lieber ertragen wollen als ein leidliches, schmerzliches In-der-Welt-Sein. Indem wir uns mit diesen Gefühlen eines tatsächlichen Nichts konfrontieren, des Nicht-in-der-Welt-Seins bei gleichzeitigem Vorhandensein von Wesen, die kein Wort sprechen und keine Verbindung ermöglichen , die uns bewusst in das Nichts aussetzen, des Nicht-tot-Seins und des  Nicht-leben-Könnens und des von der Erde und vom Himmel Ausgesetzt-Seins, lernen wir leichter die Werte des irdischen und auch geistigen Lebens zu schätzen und wir lernen vor allem auch den Suizidabgeschiedenen in seinen Gefühlen kennen.“

(Quelle: Heinz Grill, „Initiatorische Schulung: Die Seelsorge für die Verstorbenen“, Edition Sarca, Stephan Wunderlich Verlag)

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Nachtrag: In einem Artikel vom 18.03.2023 äußert sich Heinz Grill mit einer konkreten Sicht zum Tod von Clemens Arvay. Diese wurde im vorliegenden Text noch nicht berücksichtigt:

>> Der mysteriöse Tod von Clemens Arvay

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