– Das Paradoxon von Erniedrigung und Erhöhung
(Bild: Mob bei Ketzerverfolgung, Ausschnitt aus einem Gemälde von Matthias Grünewald, 1503)
„Das 21. Jahrhundert wird entweder spirituell sein oder es wird nicht sein.“ Diese Aussage des ehem. französischen Kulturministers André Malraux erscheint heute denkwürdiger denn je. In einer Zeit, in der sich bisherige materialistisch-kapitalistische Ansätze erschöpft haben und nun in Verteilungskämpfe, Krieg und Chaos zu münden drohen, bräuchte es neue Perspektiven, die geeignet sind, die einseitig-egoistischen Motive von Staaten ebenso wie von Individuen zu übersteigen und damit Frieden zu stiften.
Wer sich etwa nur geringfügig in die Anthroposophie Rudolf Steiners vertieft, wird erstaunt sein ob der gewaltigen Sinnfülle, die sich mit diesen Ausführungen eröffnet. Man wird damit nicht nur in die Lage versetzt, die großen Zeitthemen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Religion und Kunst mit ganz neuen Augen sehen, sondern ebenso jede scheinbar nebensächliche Handlung und Beobachtung, jeden Vogelflug, jede Pflanze, jeden Stein – für nahezu alle Dinge wurden von Rudolf Steiner „Imaginationen“ formuliert, die den geistigen Hintergrund und Zusammenhang mit dem Menschen eröffnen. Vor allem wird der Mensch selbst in die Verantwortung gestellt. Die Erkenntnis und schließlich die Erfahrung stellen sich ein, wie jedes Wort, jede Handlung, sogar jeder Gedanke und jede Empfindung, die wir tätigen, eine weitreichende Wirkung nicht nur auf das eigene Leben, sondern auch auf das Weltgeschehen haben. Mit der heute vielfach empfundenen Ohnmacht des einzelnen Individuums ist es dann schlagartig vorbei, man kann auch in scheinbar unbedeutender Stellung oder als Rentner wieder ungeahntes Selbstbewusstsein schöpfen. Mit dem Bewusstsein dieser Selbstwirksamkeit ist man auch für heute weit verbreitete Depressionen und Angstzustände kaum noch anfällig.
Vielfach wird heute Hölderlin zitiert: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Man ahnt in diesem Ausspruch eine Wahrheit: Ja, wenn es in unserer polaren Welt Abgründiges gibt, dann muss es doch auch Rettendes geben. Doch was, wenn gerade das, was uns retten bzw. wieder Sinn geben könnte, nun als Gefahr angesehen wird? – Und man Maßnahmen trifft, um diese „Gefahr“ vom Menschen abzuhalten und zu verbannen?
Eine der wirkungsvollsten Maßnahmen, um Menschen vor einer Vertiefung in geistige Sichtweisen abzuhalten, ist der Kampfbegriff „Sekte“. Zunächst schaudert es wohl jeden vor der Brandmarkung mit diesem Begriff, man will schließlich kein Außenseiter, sondern anerkannter Teil der Gesellschaft sein. Die Kirche macht sich diese latente Angst zunutze und diffamiert alle spirituellen Bemühungen außerhalb der Kirche als „Sekte“. Auch staatliche Einrichtungen bedienen sich dieses Schlagworts, um abweichende Meinungen zu bekämpfen. Alternative Nachrichtenplattformen werden von staatlichen „Sektenreferaten“ in Listen potentiell gefährlicher „Sekten“ aufgenommen und solcherart diskreditiert. Mittlerweile werden sogar auf sachlich-wissenschaftlichem Gebiet Wissenschaftler, die Forschungsergebnisse publizieren, welche dem herrschenden Narrativ widersprechen, mit dem Sektenvorwurf belegt und aus dem Diskurs ausgeschlossen.
Die Verfolgungshandlung trägt jedoch auch ein paradoxes Mysterium in sich: So unangenehm und mitunter sogar existenzbedrohlich das Ertragen des Sektenvorwurfs sein kann (siehe Prof. Hubertus Mynarek: „Die neue Inquisition“, so überraschend ist allerdings auch die Konsequenz solcher Schmähungen aus geistiger Sicht. Bereits Rudolf Steiner spricht von einer partiellen Zerstörung wesentlicher Persönlichkeitsstrukturen sowie auch der gesundheitlichen Kapazität, wenn sich ein Mensch zur Lügen und zur Herabwürdigung Andersdenkender hinreißen lässt. Auch der Geistforscher Heinz Grill gibt im Buch „Verborgene Konstellationen der Seele“ eine detaillierte Beschreibung der kaskadenartigen Vorgänge, die eine Diffamierung mit dem Sektenbegriff zur Folge hat: Zunächst werde zwar der Betroffene geschädigt, sowohl äußerlich in seiner Reputation und Existenz als auch innerlich in seinen Lebenskräften. Wenn der solcherart Erniedrigte allerdings nicht mit bloßer Empörung reagiert, sondern ein gewisses Maß an Ruhe und weisheitsvoller Reflexionsfähigkeit aufbringe und, dann kehrt sich die negative Wirkung mit der Zeit um: Der zunächst triumphierende Aggressor vermindert sich selbst und entäußert sich in geistiger Hinsicht wertvoller Kapazitäten seiner Persönlichkeit, die schließlich dem Opfer seiner Schmähung als neu erwachende, hilfreiche Fähigkeiten zufließen. Im Gegenzug muss der Aggressor karmische Lasten übernehmen, die bislang noch auf den Schultern des ungerechtfertigt Verfolgten lasteten.
Letztlich hat eine Diffamierung für denjenigen, der die zunächst schmerzvollen Attacken einigermaßen besonnen übersteht, somit eine befreiende Wirkung und eröffnet ihm eine sensible Innerlichkeit für die reale Dimension des Geistigen, die einem fest in den Konventionen des herrschenden Systems eingebundenen Menschen zumeist versagt bleiben. Der Verworfene spürt bei sich dann sogar eine gewisse „Seligkeit“, wie es in nachfolgend vertontem Gedicht von Heinz Grill zum Ausdruck kommt: