Sri Aurobindo

„Jeder lebendige Gedanke ist eine Welt im Werden, jede wirkliche Tat ein sich offenbarender Gedanke.“
Sri Aurobindo

Sri Aurobindo (1872-1950) war ein indischer Philosoph und spiritueller Lehrer, der nach seiner in London verbrachten Jugend und einem Studium in Cambridge das Wissen des Westens mit den Weisheitslehren und spirituellen Traditionen Indiens zu verbinden suchte. Der französische Dichter Romain Rolland bezeichnet Aurobindo als „den größten Interpreten Indiens“, der die vollkommenste Synthese realisiert habe, welche das Genie des Westens und des Ostens wohl erreichen könne.

Im Westen inspirierte Aurobindo unter anderem Schriftsteller wie Jean Gebser, der als Vertreter der sog. Integralen Theorie ebenfalls danach strebte, wissenschaftliche und spirituelle Erkenntnisse zu verbinden. Die Nobelpreisträgerinnen Gabriela Mistral und Pearl S. Buck schlugen Sri Aurobindo für den Literatur-Nobelpreis vor und erklärten, Sri Aurobindo sei einer, „der zu der Familie der Seher und Weisen der Welt gehört“.

Als Sprecher der nationalen Partei war Aurobindo der erste Politiker in Indien, der den Mut aufbrachte  die vollständige Unabhängigkeit Indiens gegenüber der britischen Besatzungsmacht öffentlich zu propagieren. Für seinen Einsatz, der vor allem auch der „Unabhängigkeit des Denkens“ galt, wurde er 1908 unter der Anklage der Aufwiegelung ins Gefängnis gebracht. Während seiner Haft hatte er die Einsicht, dass man zur Unabhängigkeit des Denkens und zur Befreiung des Menschen auch auf einer anderen Ebene ansetzen müsse als nur in politischen Reformbestrebungen und arbeitete in den Folgejahren sein Lebenswerk des „Integralen Yoga“ aus. Dieser Yoga heißt integral, weil die traditionellen Disziplinen Jnana Yoga, Bhakti Yoga und Karma-Yoga (Weg der weisheitsvollen Erkenntnisbildung, der verehrenden Hingabe und des tätigen Handelns) miteinander verknüpft werden. Aurobindo bezeichnet den von ihm eröffneten geistigen Schulungsweg aber auch deswegen als integral, weil er die Welt nicht ablehnt oder überwinden will, sondern sie mit dem höheren geistigen Sein zu durchdringen sucht.

Auf dieser für das Alltagsbewusstsein ausgeblendeten geistigen Daseinsebene existieren nach Einsicht Aurobindos sowohl die menschliche Entwicklung fördernde als auch diese zerstören wollende Kräfte bzw. hierarchische Entitäten. Die durch die heute vorherrschende rationalistische Weltsicht geforderte Negierung solcher Kräfte hält Aurobindo für einen folgenschweren Irrtum, der die Menschheit in unlösbare Widersprüche treibt („Nie die Stimme Gottes und seiner Engel gehört zu haben, hält die Welt für ein Zeichen von Gesundheit.“).

Während der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs wandte sich Aurobindo entschieden gegen Hitler und den Nationalsozialismus, hinter denen er zutiefst unmenschliche Kräfte der Destruktion walten sah, „deren Sieg die Versklavung der Menschheit an die Tyrannei des Bösen bedeutet hätte und einen Rückschritt auf dem Weg der Evolution, und besonders der spirituellen Evolution der Menschheit, der nicht nur zur Versklavung Europas, sondern auch von Asien und damit von Indien führen würde …“ (Aurobindo).

Nach Aurobindo soll das jetzige, mentale Bewusstsein der Menschheit bzw. die intellektuelle Verstandeskultur nicht die letzte Stufe der Evolution sein. Ähnlich wie in der Vergangenheit über das vitale Bewusstsein des Tieres hinaus das mentale Bewusstsein durch den Menschen in der Evolution auftauchte, soll in der Zukunft ein nunmehr das mentale Bewusstsein des Menschen überschreitendes, neues Bewusstsein möglich sein, das er als Wahrheitsbewusstsein oder supramentales Bewusstsein bezeichnete. Dieses könne alle äußeren Gegensätze in sich vereinigen bzw. zu einem harmonischen Ausgleich führen. Das Ziel des integralen Yoga sei die schrittweise Realisierung dieses Bewusstseins  und, verbunden damit, dessen wachsende Offenbarung in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Besondere Bedeutung hat hierbei auch die konkrete Tat, die im Bewusstsein eines Ideals ohne Anhaften an den Erfolg und in vollkommener Gelassenheit erfolgen solle („Gräme ich mich über Missgeschick und nenne es schlecht, oder bin ich kleinmütig und enttäuscht, dann weiß ich, der ewige Tor ist wieder in mir erwacht.“). In der Welt bestehende Kriege und Gewalt würden nach Ansicht Aurobindos erst dann aufhören, wenn die Menschheit ein solches spirituell durchdrungenes Bewusstsein entwickelt habe. Dazu bedarf es einer Arbeit an allen Wesensteilen des Menschen: Mental – Vital – Physis (‚Geist‘ – ‚Lebenskräfte, Emotionen‘ – ‚Körper‘) – einer Arbeit, nach der sich jeder Mensch von seinem innersten Seelenanliegen her sehne, von deren Ergreifen er jedoch zufolge einer materialistischen Konditionierung leicht abgehalten werde.

„Hinter jedem Ding im Leben steht ein Absolutes, nach welchem dieses Ding in seiner eigenen Weise sucht; alles Endliche bemüht sich darum, ein Unendliches zum Ausdruck zu bringen, von dem es fühlt, dass es seine eigentliche Wahrheit ist.

(…)
In die Wahrheit und die Macht des Geistes hineinzuwachsen und durch das direkte Handeln jener Macht ein rechtes Strombett zu werden, durch das jener sich selbst ausdrücken kann, ein Leben des Menschen in Gott und ein göttliches Leben des Geistes in der Menschheit, – das ist darum das Prinzip und das ganze Ziel eines integralen Yoga der Selbstvollendung.“
(Sri Aurobindo)

Inmitten allen Ernstes angesichts der bevorstehenden Phase der Menschheitsentwicklung – die vom freien Willen des Einzelnen abhängt und nicht vorgegeben ist – pflegte Sri Aurobino auch die Bedeutung einer freudigen Gemütsverfassung zu betonen:

„Ein Lächeln wirkt auf Schwierigkeiten wie die Sonne auf Wolken – es löst sie auf.
(…)
Freude ist das Geheimnis.  Lerne reine Freude kennen, und du wirst Gott kennenlernen.“

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