Warum Politeia?

Solange die Philosophen nicht regieren, gibt es kein Ende der Übel.
(…)
Diejenigen, die zu klug sind, sich in der Politik zu engagieren, werden dadurch bestraft, dass sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selbst.

(Platon, Politeia)

Diese Seite hat sich die Verbindung von Gegensätzen bzw. die Überbrückung einer Kluft vorgenommen, die scheinbar größer nicht sein könnte: zwischen Politik und Philosophie (wörtlich übersetzt: „Liebe zur Weisheit“, von griech. philos=Freund und sophos, sophia=Weisheit).

Hört man von „Politik“, gehen viele ja bereits in Deckung. Nicht ohne Grund, machen wir doch die Erfahrung, dass nahezu alle von der Politik angeordneten Maßnahmen und Reformen nur noch wie Bewegungen im Treibsand sind, in dem wir immerzu weiter versinken. Aber warum geht es trotz aller hochbezahlter Intelligenz und wissenschaftlicher Beraterstäbe nicht aufwärts?

Der ehem. UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler spricht von „simulativer Demokratie“, Politikwissenschaftler konstatieren eine „Postdemokratie“, in der wir heute leben. In einem jüngsten Interview sieht auch Prof. Rainer Mausfeld das ideologische Modell, auf dem unsere Gesellschaftsordnung basiert, als „in verheerendem Maße mindestens genauso gescheitert wie das ideologische Modell der damaligen Sowjetunion“. Das subjektive Erleben des Bürgers, „ohnehin nichts tun zu können“, untermauert der Kognitionsforscher mit objektiven empirischen Erhebungen wie etwa der Princeton-Studie, wonach der  durchschnittliche Einfluss des Bürgers auf politische Entscheidungen praktisch bei Null liegt.

In summa ist das Wort Politik wohl schon so vorbelastet, dass man sich diese Disziplin in einem konstruktiven, dem Gemeinwohl verpflichteten Sinne kaum noch vorstellen kann und es vermessen erscheint, ein würdevolles Ideal von Politik zu entwickeln. Dabei ist Politik, wenn man sie zunächst wörtlich nimmt (von griech. pólis = Staat, Gemeinschaft von Bürgern), keineswegs etwas Abgehobenes und Elitäres, sondern etwas eminent Gemeinschaftliches, das nicht nur jeden einzelnen Menschen betrifft, sondern für das auch jeder Einzelne von uns verantwortlich ist. Es ist die res publica (lat. die öffentliche Sache), von der wir aktuell gerade die Erfahrung machen – und diese Erfahrung, so leidvoll sie auch sein mag, so wertvoll kann sie uns auch sein –, dass wir sie nicht einfach durch unsere Wählerstimme an einer Urne abgeben können, sondern dass wir uns jeden Tag aus Neue selbst verantwortlich fühlen und im Rahmen unserer Möglichkeiten die Regie ergreifen müssen. In Seinem Hauptwerk Politeia („Der Staat“) hat uns Platon auch verraten, wann der Zeitpunkt kommt, an dem Politik endlich dem Wohle des Ganzen dient:

„Solange nicht entweder die Philosophen Könige werden
oder die, welche man jetzt Könige und Herrscher nennt,
echte und gründliche Philosophen werden,
gibt es kein Ende der Übel.“

Wobei Platon selbst erwähnt, dass es die Philosophen, also die der Weisheit (sophia) zugeneigten Menschen, im Gegensatz zur Ambition prototypischer heutiger Politiker (siehe >>ANTISOPHIE / Artikel in Arbeit) keineswegs darauf abgesehen haben, pragmatische Herrschafts- bzw. Regierungsfunktionen zu übernehmen. Man müsse die Philosophen sogar dazu überreden, sich in eine solche Position zu begeben, da sie als altruistische Menschen darin nichts sehen, was für sie selbst erstrebenswert wäre. Es sei vielmehr Empathie und Mitleid, die einen philosophisch gegründeten Menschen dazu bewegen, sich in die Auseinandersetzungen und Grubenkämpfe der Tagespolitik zu begeben.

Man könnte den zunächst  hart klingenden Ausspruch Platons über das Andauern bzw. das Ende der Übel auch auf zeitgemäße Weise formulieren:  Nicht als Entweder-Oder, sondern als graduellen Prozess, den es zu beschreiten gilt, um die Übel zu überwinden. Diesen zunächst utopisch klingenden und von Kundigen der materialistischen „Wissenschaften von den Schatten“ (Link/Artikel in Arbeit) auch bereits vielfach verhöhnten Ausspruch Platons könnten wir also als schlichte Gleichung ansehen anstatt als Zäsur, die irgendwann einmal stattfinden sollte: Je mehr Weisheit bzw. Liebe-zur-Weisheit („Philosophie“) wir entwickeln, desto mehr verringern wir in direkter Weise die in der Welt bestehenden Übel. Dabei ist keine noch so kleine Bemühung in Richtung des Erringens dieser Weisheit vergeblich, auch wenn äußerlich zunächst kein Erfolg sichtbar wird. Denn mit jeder Bemühung um Erkenntnis und Weisheit wirft man Sonnenstrahlen in Platons Schattenhöhle, sodass sich die dort befindlichen Personen besser orientieren und über ihre Lage im Klaren werden können. Umgekehrt könnte man die scheinbar pragmatische Ignoranz gegenüber wahrer Philosophie mit Wolken vergleichen, welche in der Höhle eine zunehmende Dunkelheit erzeugen und uns vom wärmenden Sonnenlicht abschirmen.

Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht von „Lügenäther“, der heute so dicht sei wie noch niemals zuvor. Ballen sich die Wolken dieses Lügenäthers zu stark, dann beginnen sie abzuregnen – ein Umstand, dessen Zeugen wir aktuell werden können (siehe „Mit nassen Füßen in Platons Schattenhöhle“).

Das Ziel wäre es also, dass der Mensch wieder politisch wird – jedoch nicht im bisher verstandenen Sinne, sondern im ureigensten Sinne des Wortes: Dass das einzelne Individuum sich verantwortlich fühlt für den Fortgang des Weltengeschehens. Dazu bräuchte es allerdings dasjenige, was heute mit allen Mitteln verhindert werden soll: Das Wissen, wie der Mensch ein Sonnenläufer werden kann.

Wer sich einmal in seinem Potential als Sonnenläufer auch nur ansatzweise erkannt hat, der wird sich dem gegenwärtigen Globalgeschehen nicht mehr ohnmächtig gegenübersehen, sondern kann sich in einem neuen Selbstbewusstsein gründen. Er wird realisieren, dass er nicht nur mit jedem gesprochenen Wort und mit jeder Handlung, sondern bereits mit jedem >>sonnenhaften<< Gedanken und mit jedem Gefühl Entscheidendes zur Entwicklung der eigenen Biographie wie auch seines Umfeldes beiträgt – und dies ganz unabhängig davon, welche äußere Position er in der Gesellschaft bekleidet. Insofern wird er auch als Erwerbsloser nie wieder „arbeitslos“ sein.

***

In einer Zeit des fortschreitenden Werteverfalls, der laut einer jüngsten Betrachtung in der nzz dann, wenn er nicht gestoppt wird, die 2020er Jahre zu einer „Zombie-Dekade“ machen werde, wollen wir daher das wagen, zu was uns Lothar Zenetti aufgefordert hat:

Was keiner wagt, das sollt ihr wagen
Was keiner sagt, das sagt heraus
Was keiner denkt, das wagt zu denken
Was keiner anfängt, das führt aus.

Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben
Wenn alle mittun, steht allein.

Wo alle loben, habt Bedenken
Wo alle spotten, spottet nicht
Wo alle geizen, wagt zu schenken
Wo alles dunkel ist, macht Licht.

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